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Associated Press Worldstream
Montag, 18. April 2005

A 102-year old remembers the horrors of deportations

Armenien gedenkt des »Großen Gemetzels«;
102-jährige erinnert sich mit Grausen an die Vertreibung

von AP-Korrespondent Mike Eckel

Eriwan

Auch mit 102 Jahren erinnert sich Gulinija Mussojan noch an jedes
schreckliche Detail ihrer Vertreibung aus der ottomanischen Türkei.
Mit ihrer Familie wurde sie 1915 mitten in der Nacht aus dem Haus
gejagt und mit tausenden gezwungen, sich ohne Schuhe durch die Wüste
zu schleppen. Wer nicht mehr weiter konnte, wurde getötet oder zum
Sterben in dem öden Bergland zurückgelassen.

»Die türkischen Soldaten schlugen uns mit Peitschen und Säbeln«, sagt
Mussojan, die damals 12 Jahre alt war. Mit 6.000 Frauen, Kindern und
älteren Männern seien sie so vom Mittelmeerdorf Kessab im heutigen
Syrien durch die Steinwüste getrieben worden. »Es war heiß, die Sonne
sengend über uns, wir waren durstig und sie gaben uns nichts zu
trinken, wir hatten nur das Brot, das wir von zu Hause mitgenommen
hatten.« Nach etwa einer Woche seien sie mit ihrer älteren Schwester,
ihrem jüngeren Bruder und ihrer Mutter in dem Ort Hamah, 160
Kilometer südöstlich von Kessab, angekommen.

Hunderttausende Armenier wurden durch die syrische Wüste nach Deir es
Sor nahe der heutigen Grenze zum Irak getrieben. Nach armenischen
Angaben wurden dort viele von ihnen getötet oder starben an Hunger
oder Krankheiten in Konzentrationslagern. Einigen gelang die Flucht
über den Fluss Araxas ins russisch besetzte Armenien. Der 95-jährige
Warasdat Haratjunjan sagt, er sei mit seiner Familie nach
Etschmjadsin, dem Sitz der Armenischen Apostolischen Kirche geflohen.
Er erinnert sich an eine endlose Trauerprozession, weil Tausende an
Cholera und Hunger starben. In einem kühlen Keller seien die Leichen
»wie Feuerholz gestapelt« worden.

Für Armenien und seine Diaspora gibt es nur einen Begriff für die
Ereignisse ab dem 24. Februar 1915: »Mez Eghern« – das Große
Gemetzel. Die Regierung in Eriwan hat den türkischen Nachbarn
aufgefordert, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ein Gelehrter
der Armenischen Akademie der Wissenschaften, Nikolai Howschenisjan,
sagt: »Die erste Tragödie ist, wenn man diese Gräueltat begeht. Die
zweite ist es, wenn man sie nach 90 Jahren noch nicht akzeptiert.«
Die Armenier, fügt er hinzu, wollten »ihr eigenes Nürnberg«, ihr
eigenes Kriegsverbrechertribunal.

Während einige Türken in jüngster Zeit an dem Tabu gekratzt haben,
bleibt Ankara bei der Position, dass es keinen Völkermord gegeben
habe. Für Außenminister Abdullah Gül ist der Vorwurf gleichbedeutend
mit übler Nachrede. Ein führender Oppositionspolitiker, Deniz Baykal,
sagt: »Wir können diese Beschuldigungen nicht akzeptieren, dass die
Türkei für etwas verantwortlich gemacht wird, was sie nie gemacht
hat.«

Türkischer Autor als Verräter beschimpft

(Ankara) Als Orhan Parmuk, einer der angesehensten Autoren der
Türkei, Anfang des Jahres erklärte, im Ersten Weltkrieg seien eine
Million Armenier ermordet worden, erntete er einen Sturm der
Entrüstung. Drei Klagen wurden gegen ihn mit der Begründung
eingereicht, er habe der Türkei Schaden zugefügt. In Istanbul
startete eine Schule eine Aktion, seine Bücher einzusammeln und an
ihn zurückzugeben. In einer Abstimmung im Internet war die Mehrheit
der Meinung, seine Erklärung sei eher Verrat als freie
Meinungsäußerung gewesen.

Es gibt aber auch – womöglich wegen des Wunsches der Türkei,
EU-Mitglied zu werden – zarte Versuche zur Kontaktaufnahme mit
Armeniern. Der Vorsitzende des Komitees für EU-Angelegenheiten, Yasar
Yakis, hat Armenier eingeladen, vor seinem Gremium zu sprechen. »Wir
reden beiderseits aneinander vorbei«, erklärt er. »Wenn wir
vielleicht ein Klima schaffen, in dem wir uns zuhören, können wir uns
vielleicht in der Mitte treffen.«

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