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Debatte: Ob Armenien-Frage oder EU-Beitritt – die Turkei macht…

Die Welt, Deutschland
Montag, 25. April 2005

Alles unterschreiben, wenig einhalten

Debatte: Ob Armenien-Frage oder EU-Beitritt – die Türkei macht den
Europäern leere Versprechungen

von Heinz Odermann

Als am 23. und 24. April 1915 insgesamt 609 armenische Journalisten,
Theologen, Ärzte, Anwälte, Lehrer, Professoren und Schriftsteller aus
dem damaligen Konstantinopel deportiert wurden, verlor das armenische
Volk auf einen Schlag seine Wortführer. Nur 14 der Deportierten
überlebten. Von da an setzte sich die systematische Vertreibung und
Ermordung im gesamten Land bis Ende 1916 fort, sie flackerte 1918 und
1922 noch einmal auf. Die Zahl der Getöteten wurde 1916 mit 1 480 000
angegeben. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nannte der Kommissar
des Völkerbundes, Fridtjof Nansen, die Zahl von eineinhalb Millionen
Opfern.

Der deutsche Pfarrer Dr. Johannes Lepsius (1858-1926) hatte bereits
1896 in seiner Schrift “Armenien und Europa” die Großmächte zum
Schutz der Armenier aufgerufen. Immerhin: Sie hatten auf dem Berliner
Kongreß 1878 den Artikel 61 zum Schutze dieses Volkes in den Vertrag
aufgenommen, nachdem es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
wiederholt zu antichristlichen Pogromen gekommen war. Doch dem
Berliner Vertrag folgten die Massenmorde von 1894/95, die dann 1896
mit 350 000 getöteten Armeniern ins Unfaßbare stiegen. Nach den
neuerlichen Armeniergreuel von 1909 und 1912 bekräftigten europäische
und türkische Diplomaten dann Anfang 1914 noch einmal den Beschluß
des Berliner Kongresses von 1878. Die Türken unterschrieben alle
Papiere – und hielten nichts: Ein Jahr später, an eben jenem 23.
April 1915, begann in der Türkei der erste Völkermord des 20.
Jahrhunderts. Lepsius dokumentierte ihn 1916 (“Der Todesgang des
Armenischen Volkes”), mit großer Unterstützung vieler Zeitzeugen.

Geleitet von dem panislamischen Gedanken, alle türkischstämmigen
Völker in einem ethnisch reinen osmanischen Großreich zu vereinen,
das in seiner Mitte keinen Platz für ein Volk von Christen haben
sollte, verband sich der türkische Nationalismus mit der islamischen
Ideologie, und die jungtürkischen Revolutionäre übernahmen vom Sultan
das intolerante Staatsprinzip. Die Unfähigkeit der europäischen
Politiker, ihren Beschlüssen Taten folgen zu lassen – wozu noch
ökonomische und strategische Interessen traten -, nutzten die
Machthaber der Türkei, um den Genozid aus dem Gedächtnis sowohl ihres
eigenen Volkes als auch der europäischen Öffentlichkeit zu tilgen.
Hitler versuchte, sich dies bekanntlich beim Völkermord an den
europäischen Juden zunutze zu machen: Im August 1939 fragte er in
kleinem Kreis in Berchtesgaden, wer denn noch an die Vernichtung der
Armenier denke.

Bis heute sperrten sich noch alle türkischen Regierungen dagegen, den
Völkermord vorbehaltlos anzuerkennen – im Gegensatz zu vielen
aufrechten Türken, die sich 1915 dem Genozid entgegenstellten, auch
im Gegensatz zu nicht wenigen deutschen Offizieren im türkischen Heer
und deutschen Diplomaten in Anatolien, Syrien und Mesopotamien. Durch
ihre Berichte waren die Reichsregierung und der deutsche Kaiser über
all das Grauen in Konstantinopel, Erzinghan, Schabin-Karahissar und
vielen anderen Orten unterrichtet. Doch das Deutsche Reich hat nicht
versucht, die türkische Ausrottungspolitik aufzuhalten. Darin liegt
eine schwere moralische Mitverantwortung der Deutschen. Dabei hatte
Deutschland durchaus die Möglichkeit zum Eingreifen, seit im August
1914 der deutsch-türkische Militärpakt galt, der dem Interesse beider
Staaten diente, Rußland an seiner Südflanke und England am Suezkanal
zu bedrohen.

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