Eine Burde, an der wir noch lange schwer tragen werden

DIE WELT 23.April 2005

“Eine Bürde, an der wir noch lange schwer tragen werden”

Aus den Archiven des Auswärtigen Amtes in BerlinBerlin – Im folgenden
dokumentiert die WELT Zitate aus Berichten deutscher Diplomaten,
Amtsträger und Offiziere, die im Archiv des Auswärtigen Amtes lagern:

Am 18. November 1915 berichtet Bagdadbahn-Vizechef Günther über den
vom deutschen Offizier Böttrich unterzeichneten Deportationsbefehl für
die armenischen Angestellten der Bagdadbahn:

“Unsere Gegner werden einmal viel Geld bezahlen, um dieses
Schriftstück zu besitzen, denn mit der Unterschrift eines Mitglieds
der (deutschen) Militärmission werden sie beweisen, daß die Deutschen
nicht allein nichts getan haben, um die Armenierverfolgung zu
verhüten, sondern daß gewisse Befehle zu diesem Ziel sogar von ihnen
ausgegangen, d.h. unterschrieben worden sind. Mit faustischem Lächeln
hat der (türkische) Militärkommissar den Finger auf die Unterschrift
des Herrn Böttrich gelegt, denn auch für die Türken ist die Tatsache
kostbar, daß dieses Dokument, von dem noch viel die Rede sein wird,
eine deutsche und nicht eine türkische Unterschrift trägt.”

Kanzler Bethmann Hollweg am 7. Dezember 1915: “Unser einziges Ziel
ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten,
gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.”
Botschafter Paul Graf Wolff-Metternich in einem Dokument vom 3. April
1916: “Die türkische Regierung vertritt den Standpunkt, daß die
Umsiedelungsmaßnahme nicht nur – wie wir zugegeben haben – in den
Ostprovinzen, sondern im ganzen Reichsgebiet durch militärische Gründe
gerechtfertigt war. Hieran wird sowohl die jetzige Regierung wie jede
folgende, falls kein völliger Systemwechsel eintritt, mit größter
Zähigkeit festhalten.” Der deutsche Botschafter Hans Freiherr von
Wangenheim zum Zielder Jungtürken: “Die Art, wie die Umsiedelung
durchgeführt wird, zeigt, daß die Regierung tatsächlich den Zweck
verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten.” Am
20. Mai 1915 berichtet der Verweser in Erzerum, Max Erwinvon
Scheubner-Richter, an Botschafter Wangenheim in Konstantinopel: “Die
Massen der ausgesiedelten Armenier ziehen, von wenigen Gendarmen
begleitet, in breitem Strom über die mit Mühe frisch bestellten Felder
oder lagern auf denselben. Das Vieh weidet die Saaten ab. … Das
Elend – Verzweiflung und Erbitterung sind groß. Die Frauen und ihre
Kinder warfen sich vor mein Pferd und baten um Hilfe. Armenische
Bevölkerung erblickt in mir als einzigem Vertreter christlicher Macht
ihren natürlichen Beschützer. Lage schwierig und peinlich. Bitte Ew.
Exzellenz, mich möglichst durch entsprechende Schritte bei der Pforte
(türkische Regierung) unterstützen zu wollen.” Telegrafische Antwort
von Botschafter Wangenheim am 3. Juni 1915) “Ich muß zu meinem
Bedauern von einer erneuten Verwendung für die Armenier bei der Pforte
zunächst absehen. Auch wollen Ew. pp. in dieser Sache keine weiteren
Schritte bei den dortigen Militärbehörden unternehmen.” Drei Tage
zuvor hatte Wangenheim an das Auswärtige Amt in Berlin folgende
Einschätzung gemeldet: “(Kriegsminister und oberster Militärführer)
Enver Pascha beabsichtigt zur Eindämmung armenischer Spionage und um
neuen armenischen Massenerhebungen vorzubeugen, unter Benutzung des
Kriegs- (Ausnahme-) Zustands eine große Anzahl armenischer Schulen zu
schließen, armenischeZeitungen zu unterdrücken, armenische
Postkorrespondenz zu untersagen und aus den jetzt insurgierten
armenischen Zentren alle nicht ganz einwandfreien Familien in
Mesopotamien anzusiedeln. Er bittet dringend, daß wir ihm hierbei
nicht in den Arm fallen.” Im Sommer 1918 hat Botschaftsprediger
Pfarrer Graf von Lüttichauseine Erkenntnisse durch ausführliche
Reisen, Gespräche und Recherchen schriftlich festgehalten: “In den
östlichen Provinzen … sind von der (armenischen) Gesamtbevölkerung
80 bis 90 Prozent, von der männlichen Bevölkerung 98 Prozent nicht
mehr am Leben. … Die Vernichtung der Vertriebenen, die nur allzu gut
und gründlich gelungen ist, war eine politische Maßnahme der
Regierung. …Die Türkei handelte mit vollem Bewußtsein,
selbstherrlich. … Überall auf meiner Reise habe ich die Erkenntnis
gewonnen, daß es sich um ein ganz systematisches Verfahren
handelte. … Nicht nur die Feinde, auch die breite Masse des
(armenischen) Volkes belastet uns mit der Schuld, eine Bürde, an der
wir noch lange schwer tragen werden.” DW

http://www.welt.de/data/2005/04/23/708508.html