Frankfurter Rundschau
25. April 2005
Gedenken an Völkermord ;
1915 Genozid an Armeniern
von RHAMACHER
Frankfurt a. M./Eriwan · 24. April · big/dpa · Die hessische
Landesregierung hat die Haltung der Türkei zum Völkermord an den
Armeniern vor 90 Jahren kritisiert. Bei der Gedenkfeier für die Opfer
des Genozids in der Frankfurter Paulskirche sagte Regierungspräsident
Gerold Dieke am Sonntag, die Türkei müsse “aus eigenem Antrieb”
geschichtsverfälschenden Darstellungen entgegen treten und die eigene
Historie aufarbeiten. “Es wäre bedauerlich, wenn das Angebot der
Türkei, eine gemischte Historikerkommission einzusetzen, vor allem
eine Geste im Hinblick auf EU-Beitrittsverhandlungen wäre”, sagte
Dieke. Er vertrat bei der Gedenkfeier den hessischen
Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU).
Der Völkermord unter osmanischer Herrschaft werde “von den Urhebern
und ihren Nachfolgern mit beträchtlichem Aufwand verleugnet”, so
Dieke. Auch die Deutschen hätten gute Gründe, “Verstrickung oder gar
Komplizenschaft” aufzuarbeiten. Das Archiv des Auswärtigen Amtes
belege die Beteiligung an der Planung und Ausführung von
Deportationen durch deutsches Militär “zumindest in Einzelfällen”,
sagte der Regierungspräsident.
Beschämung über die Verstrickung
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD),
Wolfgang Huber, bat das armenische Volk für die deutsche Beteiligung
an dem Massenmord um Verzeihung. “Ich sehe mit Beschämung die
Verstrickung unseres Volkes”, sagte Huber am Samstag bei einem
ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom anlässlich des 90.
Jahrestages des Massenmords. An die Regierung richtete er die Bitte,
“sich zur deutschen Mitschuld zu bekennen, den Anteil an den
Ereignissen aufzuarbeiten und im eigenen politischen Handeln daraus
Konsequenzen zu ziehen”.
In Armenien gedachten am Sonntag mehr als eine Million Menschen – ein
Drittel der Bevölkerung – des Massenmords und der Vertreibung. In der
Hauptstadt Eriwan legten die Trauernden Blumen an der Gedenkstätte
Zizernakaberd (Schwalbennest) nieder, die den 1,5 Millionen Opfern
gewidmet ist. Präsident Robert Kotscharjan verlangte eine strikte
Verurteilung des Massakers durch die internationale Gemeinschaft. Die
Türkei bestreitet den planmäßigen Mord bis heute. Die
UN-Menschenrechtskommission hat die Gräueltaten als Genozid gewertet.
Mindestens 15 Staaten, darunter Frankreich, schlossen sich diesem
Urteil an.