Hitlers Vorbild: Enver Pascha?

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Neues Deutschland
12. Mai 2005

Politisches Buch

Hitlers Vorbild: Enver Pascha?

Der Völkermord an den Armeniern – bis heute ungesühnt undverleugnetÂ

Von Friedemann KlugeÂ

Ein Mord am helllichten Tag auf der Berliner HardenbergstraÃþe, Ecke
FasanenstraÃþe, steht am Anfang des Buches und am Ende eines der blutrünstigsten Kapitel
der Menschheitsgeschichte, in dem zwischen 800000 und 1,4 Millionen Menschen
ihr Leben lassen mussten. Das Berliner Mordopfer hat einen Namen, Talaat
Pascha, und ist an entscheidender Stelle ‘als unumschränkter Diktator der Türkei`
(Hosfeld) mitverantwortlich für den Genozid an einem Volk, dessen vollständige
Ausrottung ein offen erklärtes und beinahe erreichtes Ziel war. Es geht um den
Massenmord der Türken an der armenischen Bevölkerung in den ersten
Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, und das Attentat auf Talaat ist ein sorgfältig
und von langer Hand vorbereiteter Fememord: Eine von mehreren Hinrichtungen
jener Täter, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit hatten entkommen können und
deren Namen nun auf den geheimen Abschusslisten ihrer exilarmenischen Verfolger
stehen. Rolf Hosfeld erzählt die Geschichte dieser ‘Operation Nemesis`,
eingebettet in die Geschichte des Vernichtungsfeldzuges gegen die Armenier.
Eine seltsame Koalition ergab sich da: Türken und Kurden, bis auf den
heutigen Tag einander sonst eher feindlich gesinnt, machen bei der
Armeniervernichtung gemeinsame Sache. Und es erstaunt doch, dass in der Sprache der Nazis
ähnliche Wortwahl zu finden ist wie bei den türkischen Tätern. Was den Türken die
Armenier waren, waren den Nazis die Juden, meint Hosfeld. Hitler habe sich Enver
Pascha zum Vorbild erkoren.
‘Paranoia breitet sich aus, die in… präventiver Notwehr zur Rettung des
Reiches gipfelt.` Da war die Rede von der armenischen ‘Ausbeuterrasse`, die
(1908) in der Forderung gipfelte: ‘Kauft nicht bei Armeniern!` Auch andere Parolen
kommen uns ‘vertraut` vor: ‘Die Türkei den Türken!` Hier wie dort werden in
Primitivmetaphorik die Heilkräfte der Medizin bemüht: Von ‘inneren Tumoren` ist
die Rede, von denen das Land ‘gesäubert` werden müsse. Was später in
Deutschland der ‘ewige Jude`, das ist dort schon damals der »ewige Armenier`. Dort das
‘GroÃþtürkische Reich`, hier das ‘GroÃþdeutscheReich`. Das ‘Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums` von 1933, das ‘Nichtarier` vom Ã-ffentlichen
Dienst ausschloss, war ähnlich einer schon 1915 durch die Türken an den
Armeniern praktizierten Gesetzgebung, und selbst Reichspogromnacht und
Wannsee-Konferenz verfügen über modifizierte türkische Vorbilder (‘Komitee zur Lösung der
armenischen Frage`).
Geradezu bizarr ist die Vergleichbarkeit der Genozide an Armeniern und Juden
in ihrer Nachgeschichte. Denn nach getaner Untat ringt man sich zwar das
Bekenntnis ab, dass es bei den Deportationen ‘scheuÃþliche Taten` gegeben habe, dass
alles dies jedoch ‘ohne Wissen der Regierung` geschehen sei. Niemand hat von
nix gewusst – wie bei uns 1945! Erschütternd, dass der deutsche Militarismus
seine Schmutzhände auch bei diesem Völkermord schon mit im Spiel hatte: Obwohl
man sowohl durch Reiseberichte als auch durch die hochoffiziellen Depeschen
der deutschen Botschaft bestens im Bilde über das war, was sich im Innern der
damaligen Türkei abspielte, griff man nicht nur nicht ein, sondern versuchte, im
Gegenteil, mit den Mitteln der Zensur die Verbreitung der Gräuelnachrichten
zu unterdrücken. Kein Wunder: Es herrschte Krieg, und die Türkei war
Bündnispartner! Selbst der heute noch von gewissen Kreisen hoch verehrte ‘Vater des
deutschen Liberalismus`, Pastor Friedrich Naumann, entblödete sich nicht, in
Deutschlands ‘weltpolitischer Sendung` einen ‘sittlichen Grund` zu sehen, ‘weshalb
wir gegen die Leiden der christlichen Völker im türkischen Reichepolitisch
gleichgültig sein müssen`.
So nahm denn der erste Genozid des 20. Jahrhunderts seinen furchtbaren
Verlauf. Viele Einzelheiten sind bis heute nicht aufgeklärt (z.B. die Gräuel der
‘kilikischen Apokalypse` von 1909, der allein 20000 Armenier zum Opfer fielen),
nichts wurde jemals aufgearbeitet, im Gegenteil: Die Leichen der
Hauptschlächter Enver Pascha und Talaat Pascha ruhen noch heute in Ehrengräbern (!) auf dem
Freiheitshügel in Istanbul. Und wo sind die Gedenkstätten für den armenischen
Holocaust?
So beschämend die Antwort ist: Es gibt keine – oder nur jene bescheidenen,
auf Bücher beschränkten. Unter diesen aber ist das vorliegende Buch eines der
würdigsten und bedeutendsten, bei dem nur eines zu bedauern ist: dass es nicht
von einem türkischen Autor verfasst und nicht zuerst in der Türkei publiziert
wurde. Aber von solcherlei ehrlicher wie ehrenvoller Aufarbeitung der eigenen,
blutigen Geschichte ist das EU-Anwärterland wohl noch weit entfernt.

Rolf Hosfeld: Operation Nemesis. Die Türkei, Deutschland und der Völkermord
an den Armeniern. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 351S., geb., 19,90 EUR.

(NDÂ 12.05.05)

From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress

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