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Serg ey Khachatryan der kompletteste Kunstler in Brussel – Emotionale
Tiefe und bluhender Ton
Saitenspiel ohne jeden Sprung
Von Norbert Meyers
Es war ein Triumph der Musik – aber nicht nur. Sergey Khachatryan war
ungeachtet seiner gerade mal zwanzig Jahre unbestritten die
kompletteste Personlichkeit, die nachdrucklich durch Intelligenz,
Reife, Klangschonheit, Virtuosität und Spielwitz bestach.
Die Qualitäten, die den diesjährige Sieger des
Konigin-Elisabeth-Wettbewerbs auszeichnen, ließen sich wie edle
Perlen an einer Schnur aufreihen. Makellose Intonation, stupende
Technik, sorgfältigste Bogenfuhrung, elegische Grundhaltung,
differenziertes Vibrato, inspirierte Lesart, sonore Expressivität,
kontinuierliche Spannung, distanzierte Emotionalität, virtuose
Leidenschaft und eine ausgesprochene violinistische Eleganz, gepaart
mit dem naturlichen Charme eines noch jungen und doch schon so reifen
Mannes – dergestalt die Trumpfe, die Sergey Khachatryan bei der
ungemein variablen und jederzeit schlussigen Sonate Nr. 3 d-moll opus
108 von Johannes Brahms ebenso wie im tiefschurfenden Konzert Nr. 1
a-moll opus 99 von Dimitrij Schostakowitsch in die Waagschale zu
werfen wusste und die letztlich nicht nur das Publikum, sondern
gleichfalls die Jury uberzeugten.
Zudem stach bei seinem Auftritt ins Auge, dass er sich jede
oberflächlichen Effekthascherei verbietet, sich gar in einem gewissen
Maße auf der Buhne zurucknimmt, um allein die Musik sprechen zu
lassen. Eine Qualität, die den Armenier gerade auch im Halbfinale
ausgezeichnet hatte, als er in der “Carmen-Fantasie” von Franz
Waxmann zwar ein Feuerwerk zundete, dafur jedoch nie die Musikalität
auf dem Altar alleiniger Virtuosität opferte.
Im Konservatorium wie im Palais des Beaux-Arts wurde schnell
offenbar, dass Sergey Khachatryan etwas zu erzählen hat. Jedenfalls
mehr als andere! Zugegeben: Mikhail Ovrutsky und Yossif Ivanov
beruhrten gleichfalls tief mit ihrer Schostakowitsch-Interpretation,
doch die Gänsehaut, die der ungemein ruhig wirkende Armenier
erzeugte, war ausgeprägter, prickelnder. Bei ihm steht die
Fingerfertigkeit keineswegs der Tiefe im Wege, er entwickelt einen
sanften, bluhenden Ton, der am erstaunlichsten im mezzopiano wirkt
(so gerade im Adagio der Sonate, mit seiner nicht minder
beeindruckenden Schwester Lusine am Klavier).Es ist die Spannung und
Detailgenauigkeit, die ihr pianistisches Spiel auszeichnen. Hier
kommunizieren zwei Kunstler, die nicht nur wissen, was sie wollen,
sondern vor allem, wie sie das gemeinsam erarbeitete Ziel auch
erreichen konnen.
Eine un(an)greifbare Plastizität, ein Schmelz und eine Samtigkeit,
die hinter die Noten fuhren. So auch in der Nocturne des Konzertes,
der Sergey Khachatryan all ihre Phantasie und Abgrundigkeit
abzugewinnen wusste. Daruber hinaus ist es immer wieder diese
beispiellose Intelligenz, mit der unaufdringlich, aber deutlich
phrasiert wird. Das ist nicht eigenwillig, aber doch autonom und auf
gar keinen Fall “abgerichtet”. Wo schärfere Konturen verlangt werden,
da zeichnet der seit zwolf Jahren in Deutschland beheimatete
Violinist mit filigranem Strich nach.
Es bleibt einfach unvergessen, was der junge Kunstler in der Kadenz
des opus 99 an Klangbildern auf die imaginäre akustische Leinwand
zeichnete, ja zauberte. Einfach grandios waren diese funf Minuten,
angesiedelt zwischen innerer Leidenschaft und äußerer Virtuosität,
getragen von federnder Elastizität und gestischer Eleganz. Alles
wirkt so leicht, so naturlich, so musikalisch. Einfach unglaublich!
Sein hochintensives, in Dynamik und Farbgebung nach extremen
Ausdrucksmoglichkeiten und mehr noch -werten strebendes Spiel scheint
fur dieses Werk wie zugeschneidert. Was hier an Klangsinn und
Klugheit auch in den virtuosen Passagen des Scherzo und mehr noch der
Burlesque aufleuchtet, ist ungewohnlich und lässt auf eine
erstaunliche Karriere hoffen – die im Grunde längst durchgestartet
ist.
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From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress