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10 juni 2005
Armenienfrage als Schatten über Türkei-Besuch
swissinfo 10. Juni 2005 21:05
Joseph Deiss mit dem türkischen Premier Recep Tayyip in Davos 2004.
(Keystone)
Türkische Parlamentarier werden am Montag zu einem Schweiz-Besuch
erwartet. Eine neue Kontroverse in der Armenier-Frage überschattet
die Visite.
Türkische Zeitungen berichteten, geplante Ministerbesuche beider
Seiten seien abgesagt worden, weil in der Schweiz gegen einen
türkischen Historiker juristische Ermittlungen laufen.
Zwischen der Türkei und der Schweiz gibt es erneut Verstimmungen.
Nach Berichten der türkischen Tageszeitungen “Radikal” und “Milliyet”
sagte der türkische Handeslminister Kürsad Tüzmen seine Teilnahme am
“Swiss-Turkish-Business-Council” (STBC) ab. Die Veranstaltung hätte
vom 22. bis 24. Juni in Zürich stattfinden sollen.
Das Treffen sei bereits vor einem Monat auf unbestimmte Zeit
verschoben worden, bestätigten die STBC und der Sprecher des
türkischen Handelsministers am Freitag. Tüzmen hätte während seines
Besuchs in der Schweiz auch Bundesrat Deiss treffen sollen.
Türkischer Historiker verharmlost Völkermord
Der türkische Handelsminister Tüzmen begründete seinen Rückzug mit
den Vorermittlungen der Justiz in Winterthur gegen den türkischen
Historiker Yusuf Halacoglu. Halacoglu sei “ein guter Freund” von ihm,
zitierte “Radikal” den Politiker. Die Reise in die Schweiz habe er
aus Solidarität mit dem Historiker abgesagt.
Die Staatsanwaltschaft Winterthur hatte nach einem Vortrag Halacoglus
am 2. Mai 2004 in Winterthur eine Strafuntersuchung eingeleitet. Der
Historiker soll bei seiner Rede den Völkermord an den Armeniern
verharmlost und damit das Anti-Rassismus-Gesetz verletzt haben.
Gemäss “Radikal” und “Milliyet” sagte Deiss im Gegenzug einen für
September geplanten Gegenbesuch in der Türkei ab. Im Eidgenössischen
Volkswirtschafts-Departement (EVD) hiess es dazu lediglich, der
Besuch von Deiss im September sei von der Türkei nicht bestätigt. Die
Türkei habe aber “Terminschwierigkeiten” signalisiert.
Die türkische Botschaft in Bern wusste am Freitag nichts von einer
Absage. Der Besuch von Deiss in der Türkei sei nach wie vor für
diesen Herbst geplant, sagte Presse-Attaché Sibel Gal.
Gegenbesuch einer Parlamentarier-Delegation
Trotz der jüngsten Spannungen wird am Montag eine türkische
Parlamentarier-Delegation für eine Woche die Schweiz besuchen. Es
handelt sich um einen Gegenbesuch, nachdem eine Delegation des
Schweizer Parlaments im letzten Jahr die Türkei besucht hatte.
Gemäss Paolo Janke, Sekretär der Aussenpolitischen Kommission (APK),
wird der Besuch wie vorgesehen stattfinden. Geplant sind unter
anderem Treffen mit den Ratspräsidenten und den Bundesräten Micheline
Calmy-Rey und Deiss.
Kontroversen seit 2003: Als Genozid anerkannt
Die Türkei und die Schweiz liegen sich wegen der Armenier-Frage seit
2003 in den Haaren. Damals entschied das Waadtländer
Kantonsparlament, den Mord an den Armeniern zu Beginn des 20.
Jahrhunderts als Genozid anzuerkennen.
Drei Monate später folgte auf Bundesebene der Nationalrat diesem
Entscheid.
Nach der Abstimmung in der Waadt hatte Ankara eine Einladung an die
Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zurückgezogen. Der
Besuch in der Türkei fand dann schliesslich im letzten März statt,
nachdem sich die Situation etwas entspannt hatte.
Die offizielle Türkei bestreitet, dass es sich bei den Ereignissen
von 1915 um einen Genozid handelte, und betont, dass es auf beiden
Seiten Opfer gegeben habe. Es sei zu Deportationen gekommen, nicht
aber zu einem Völkermord.
Gemischte Historiker-Kommission als Vorschlag
Vor der jüngsten Kontroverse, noch zu Beginn dieser Woche, hatte der
türkische Botschafter in Bern, Alev Kiliç, erklärt, dass die
Armenier-Frage “einen bitteren Geschmack in den
türkisch-schweizerischen Beziehungen hinterlassen habe”.
“Wir möchten dies ein für allemal klären, indem wir eine gemischte
Historiker-Kommission einsetzen und sämtliche Archive und Dokumente
zugänglich machen.”
Laut Kiliç hatte die Schweiz während Calmy-Reys Besuch in der Türkei
an einer solchen Kommission Interesse gezeigt. Es sei nun an den
Armeniern, ihre Position klarzulegen.
“Sicher ging dieser Vorschlag auch an die Regierung Armeniens”, sagt
Kiliç. “Ohne ihre Zustimmung ist eine solche Kommission nicht
festzulegen.” Noch stehe jedoch eine positive Antwort aus.