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DIE RESOLUTION DES BUNDESTAGES IST BEREITS WIEDER UBERHOLT
Ohne EU keine Armenien-Debatte
Es gibt viele gute Grunde fur und gegen einen EU-Beitritt der Turkei.
Das Thema Armenien, der Volkermord, der 1915 von den Jungturken an
der armenischen Minderheit verubt wurde, gehort zu jenen, die fur
einen EU-Beitritt sprechen. Die Fortschritte in der Turkei sind zwar
hochst zaghaft. Aber dass das Jahrzehnte währende Sprechverbot
aufweicht, ist ein Ergebnis des Drucks der EU. Druck ist dabei eine
ungenaue Beschreibung: Es ist schlicht klar, dass die Turkei ohne ein
halbwegs aufgeklärtes Verhältnis zu den eigenen Verbrechen nicht
Mitglied der EU wird. Dass kurzlich eine wissenschaftliche
Armenien-Konferenz in der Turkei verboten wurde, ist ein schlechtes
Zeichen – aber kein Dementi der segensreichen Rolle der EU. Solche
Aufklärungsprozesse verlaufen nie geradlinig, sondern stets umwegig.
Die parteiubergreifende Armenien-Resolution, die der Bundestag heute
verabschiedet, wirft nun ein zwiespältiges Licht auf die Lage. Zum
einen ist diese Resolution moderat im Ton und eindeutig in der Sache
– und damit ein Beispiel, wie man ohne moralisches Herrenreitertum
und Besserwisserei Kritik ubt. Das ist auch ein Verdienst der CDU,
die die Debatte nicht als Munition gegen einen turkischen EU-Beitritt
benutzt hat. Gleichzeitig scheint diese Resolution schon heute von
gestern zu sein. Denn seit der Armenien-Debatte im Bundestag vor acht
Wochen hat sich die Welt verändert. Das Nein zur EU-Verfassung hat
die Erweiterungsbefurworter geschwächt. Mit Merkel und Sarkozy sind
in den wichtigsten EU-Staaten entschiedene Gegner des turkischen
Beitritts auf dem Weg zur Macht.
Falls Merkel und Sarkozy den Schalter in den Verhandlungen mit der
Turkei auf “Non” umlegen, durfte auch die Armenien-Debatte erledigt
sein. In der Turkei, weil man sich, nicht zu Unrecht, betrogen fuhlt
– in der EU, weil die Frage aus dem politischen Fokus verschwindet.
Damit droht der faszinierende Prozess, wie Druck von außen und
Selbstaufklärungskräfte im Inneren im Zusammenspiel das Bild einer
Gesellschaft verändern, am Ende zu sein – noch bevor er richtig
begonnen hat. STEFAN REINECKE
taz Nr. 7691 vom 16.6.2005, Seite 11, 46 Zeilen (Kommentar), STEFAN
REINECKE
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