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Berlin/Eriwan/Nagornyi Karabach, Dritte Kraft

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Dritte Kraft
21.06.2005

BERLIN/ERIWAN/NAGORNYI KARABACH

(Eigener Bericht) – Der staatliche Berliner Auslandssender “Deutsche
Welle” verbreitet Forderungen armenischer Separatisten mit
Stoßrichtung gegen das mit der Türkei verbündete Aserbaidschan. Wie es
zugleich in einem Forderungskatalog heißt, den das Berliner Parlament
auf Antrag der CDU/CSU-Opposition an Ankara richtet, muss die Türkei
ihre “zwischenstaatlichen Beziehungen” zuArmenien
“normalisieren”. Armenien ist wegen seiner Brückenfunktion nach
Zentralasien bedeutend und kann gegen deutsche Machtkonkurrenten in
Stellung gebracht werden. Der jetzt vom Bundestag verabschiedete
Forderungskatalog soll Berlin als Schutzmacht des Landes etablieren,
das sowohl mit Ankara als auch mit dem benachbarten Aserbaidschan im
Streit liegt. Aserbaidschan beklagt Übergriffe armenischer
Nationalisten, die seit den 1990er Jahren für die Loslösungdes Gebiets
Nagornyi Karabach kämpfen. Die Berliner Einflussarbeit im südlichen
Kaukasus schwächt Russland, einen Verbündeten Armeniens, und
konkurriert mit US-Aktivitäten, die gleichermaßen auf die
Vorherrschaft in dem strategisch wichtigen Gebiet abzielen.

Der an Ankara gerichtete Forderungskatalog, den das Berliner Parlament
in der vergangenen Woche verabschiedet hat, thematisiert den
Armenier-Genozid des Osmanischen Reichs und enthält ein völlig
folgenloses Bekenntnis zur deutschen Verwicklung in den türkischen
Völkermord. Höhepunkt ist die Behauptung, Deutschland komme “aufgrund
seiner historischen Rolle in den deutsch-türkisch-armenischen
Beziehungen heute eine besondere Verpflichtung im Rahmen der
Nachbarschaftsinitiative der EU zu”.1) Der Hinweis auf die
“historische Rolle” Deutschlands gehört zu den außenpolitischen
Sterotypen, die eine angebliche Veranlassung zum weltweiten Eingreifen
begründen und bei der Expansion in Zentralasien, in Afrika und
Lateinamerika unterschiedslos eingesetzt werden.

Privilegiert
Wie es weiter heißt, müsse Berlin wegen der selbst indizierten
Verpflichtungen eine “Stabilisierung der Kaukasus-Region”
anstreben. Dazu sei eine Öffnung der türkisch-armenischen Grenze durch
Ankara hilfreich. Mit der Grenzöffnung könne die Türkei “die
Isolierung Armeniens aufheben und die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen befördern”. Die erneute Stärkung armenischerPositionen
durch den deutschen Bundestag folgt Einflussmaßnahmen des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ). Wie das Bonner Ministerium bereits im April mitteilte, sollen
deutsche Spezialisten die Regierung Armeniens bei umfassenden
Rechtsreformen anleiten (Zivil-, Wirtschafts-, Verwaltungs- und
Verfassungsrecht). Die Maßnahmen sind geeignet, Berlin privilegierten
Zugang zu den innerstaatlichen Strukturen des Landes zu verschaffen
und deutsche Unternehmen in konkurrenzlose Vertragsverhältnisse zu
bringen.

Austritt
Die von Berlin kritisierte Regierung in Ankara hat die
türkisch-armenische Grenze im Jahr 1993 infolge des Konflikts um
Nagornyi Karabach geschlossen. Armenischsprachige Sezessionisten
fordern den Austritt des Gebiets aus dem Territorium Aserbaidschans
und ziehen seinen Anschluss an Armenien in Betracht. Seit 1994 ist ein
Waffenstillstand zwischen den verschiedenen Armeen und Milizenin
Kraft, ein amerikanisch-russisch-französisches OSZE-Komitee
(“Minsk-Gruppe”) verhandelt über eine Lösung des Konflikts. Während
Aserbaidschan seine territoriale Integrität und die Unverletzlichkeit
seiner Grenzen zu verteidigen sucht, berufen sich die Sezessionisten
auf ein völkisches Selbstbestimmungsrecht, wie es von Berlin
propagiert wird. Anlässlich der illegalen Parlamentswahlen, die am
vergangenen Sonntag in Nagornyi Karabach abgehalten wurden, nimmt die
staatliche “Deutsche Welle” nun die Sezessionsforderungen der
selbsternannten Gebietsregierung auf. “Berg-Karabach muss von der
internationalen Gemeinschaft als unabhängiger Staat anerkannt werden”,
zitiert der staatsfinanzierte Bonner Sender den angeblichen
“Außenminister” der Separatisten.2)

Faktor Zeit
Deutsche Experten stützen seit Jahren die Sezession Nagornyi
Karabachs. Eine “politische Lösung des Konflikts mit friedlichen
Mitteln” sei “nur unter Gewährung des Selbstbestimmungsrechts
möglich”, hieß es bereits 1995 in einer von der
Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichten Studie.3) “Berg-Karabach hat
das Recht, das Selbstbestimmungsrecht in seiner stärksten Form
auszuüben, also das Recht der Konstitutierung eines eigenen souveränen
Staates”, erklärte der Hamburger Staatsrechtler Otto Luchterhandt im
März 1999 in der armenischen Hauptstadt.4) Zwar verhindere
u.a. “Opportunismus” gegenüber dem ölreichen Aserbai dschan und seinem
Verbündeten Türkei die internationale Anerkennung der Sezession. Die
“Entschlossenheit der Armenier”, ihre “errungene Unabhängigkeit von
Baku in ihrer Substanz nicht wieder preiszugeben”, erzwinge allerdings
auf die Dauer (“Faktor ‘Zeit'”) eine staatliche Unabhängigkeit.

Entscheidung
Die Berliner Einmischung in Armenien und in Nagornyi Karabach trifft
auf russische und amerikanische Konkurrenten. Wie das Deutsche
Orient-Institut (DOI) in einer kürzlich veröffentlichten Studie
schreibt, sei “die Beilegung des Karabachkonflikts” für Washington
“ein Etappenziel”, um “die enge Bindungzwischen Russland und Armenien
aufzulösen und damit dem gesamten Südkaukasus eine homogene
prowestliche Grundlage zu verschaffen”.5) In Armenien nehme insgesamt
“unter oppositionellen Kräften eine proamerikanische Stimmung” zu,
heißt es beim DOI, das “vermehrt Stimmen” hört, “die auf eine
Entscheidung Armeniens zwischen Moskau und Washington drängen”. Die
neuen Berliner Armenien-Aktivitäten suchen den deutschen Einfluss
gegenüber den beiden Konkurrenten zu sichern und die eigenen
Positionen in dem strategisch bedeutenden Gebiet als dritte Kraft zu
behaupten.

1) Bundestags-Drucksache 15/5689. S. auch Revolutionäre Wirkungen
2) Berg-Karabach wünscht sich völkerrechtliche Anerkennung; Deutsche Welle
16.06.2005
3) Der Karabach-Konflikt: Moskaus Hand in Transkaukasien, Bonn 1995
4) Republik Armenien, Karabach und Europa – endlose Frustrationen? Von
Prof.Dr. Otto Luchterhandt/Universität Hamburg (in der Amerikanischen
Universität in Jerewan, 24.3.1999)
5) Die Politik der USA im Südkaukasus; DOI-Focus Nr. 21, April 2005

s. auch Trabanten und SPD-Außenpolitiker fordert “Anbindung der
kaukasischen Staaten an Europa”

From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress

http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2
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