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FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS
Orhan Pamuk ist neuer Preisträger
Er gehe “wie kein anderer Dichter unserer Zeit den historischen Spuren
des Westens im Osten und des Ostens im Westen” nach, hieß es heute in
Frankfurt: Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk steht für den
anspruchsvollen Dialog von Orient und Okzident. Jetzt wird er mit dem
Friedenspreis des Buchhandels geehrt.
Frankfurt/Main/Köln – Ein Werk, “in dem Europa und die muslimische
Türkei zusammenfinden” – dies sei die große Leistung des 53-jährigen
Autors, der auf der Frankfurter Buchmesse den mit 25.000 Euro
dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird. Der
in Istanbul geborene Orhan Pamuk wuchs in einer gutbürgerlichen
Familie auf und studierte Architektur sowie Journalismus. Er gilt
heute als einer der bedeutendsten Prosaschriftsteller der jüngeren
türkischen Generation. Seine Werke wurden bislang in 34 Sprachen
übersetzt und in mehr als 100 Ländern veröffentlicht.
Auf Deutsch sind unter anderem die Bücher “Die weiße Festung”, “Das
schwarze Buch”, “Das neue Leben” und “Rot ist mein Name”
erschienen. Von der Kritik hoch gelobt wurde zuletzt sein Roman
“Schnee”. Die “New York Times” feiertedas Werk als bestes
ausländisches Buch des Jahres 2004.
Der in Istanbul lebende Schriftsteller sei einem Begriff von Kultur
verpflichtet, “der ganz auf Wissen und Respekt vor dem anderen
gründet”, so der Stiftungsrat zu seiner Wahl. In seinen Romanen “Die
weiße Festung”, “Rot ist mein Name” oder “Schnee” verbinde Pamuk
“orientalische Erzähltraditionen mit den Stilelementen der westlichen
Moderne”.
Er entwickele Bilder und Begriffe, die die Gesellschaft in einem nicht
eng verstandenen Europa gebrauchen werde. So eigenwillig das
einzigartige Gedächtnis des Autors in die große osmanische
Vergangenheit zurückreiche, so unerschrocken greife er die brennende
Gegenwart auf, trete für Menschen- und Minderheitenrechte ein und
beziehe immer wieder Stellung zu den politischenProblemen seines
Landes, heißt es in der Begründung weiter.
Beim Münchener Hanser Verlag, der die Werke Pamuks in Deutschland
herausgibt, mischen sich Freude, Stolz und auch ein wenig Sorge. Wie
die Nachrichtenagentur dpa berichtet, habe Pamuks Lektorin Anna Leube
auf die Nachricht vom Friedenspreis “voller Freude, aber auch mit
etwas gemischten Gefühlen” reagiert. “Die Entscheidung hat angesichts
der aktuellen europapolitischen Lage ja schon etwas Brisantes”,
erklärte sie heute. Nach den Anfeindungen gegen den türkischen
Schriftsteller in seinem Heimatland, “bange ich ein bisschen, weil
Pamuk durch den Preis noch mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit
geraten wird”.
Der im Februar erschienene Roman “Schnee”, der das Verhältnis von
traditionellem Islam und Moderne in der Türkei thematisiert, ist laut
Leube Pamuks erstes dezidiert politisches Buch. “Früher hat er gesagt,
er wolle kein politischer Schriftsteller sein, aber mit ‘Schnee’ hat
er nach seinen historischen Romanen neues Terrain betreten.” Dabei sei
es für den Autor wichtig, dass “Schnee” “nicht auf die jetzige
Situation anspielt, auch wenn das Thema für uns gerade so aktuell
ist”.
Der Hanser Verlag will demnächst Pamuks erstes auf Deutsch
erschienenes Buch “Die weiße Festung” (Insel Verlag, 1990) neu
herausbringen. Im Herbst 20006 soll dann ein hierzulande bislang
unveröffentlichter Text Pamuks erscheinen: eine Art Erinnerungsbuch an
Pamuks Heimatstadt Istanbul.
Für den Kölner Autor und Publizisten Ralph Giordano (“Die Bertinis”)
ist die Vergabe des Friedenspreises an Pamuk eine ausgezeichnete
Wahl. “Kollegiale Glückwünsche an Orhan Pamuk, Kompliment aber auch an
die Organisation ‘Deutscher Buchhandel’. Mit der Verleihung 2005 hat
sie ins Schwarze getroffen”, sagte Giordano, 82, heute der dpa in
Köln. Pamuk habe sich öffentlich gegen die “türkische Lebenslüge”
gestellt.
Pamuk wird von nationalistisch gesinnten Türken angefeindet, seit er
behauptete, in der Türkei seien 30.000 Kurden und eine Million
Armenier ermordet worden. Sein mutiges Bekenntnis habe den Dissidenten
ins Exil gezwungen, betonte Giordano, der für die ARD 1986 eine
Dokumentation über den Massenmord an den Armeniern produziert hatte.
Giordano verlangte vom “angeblichen EU-Musterschüler Türkei” eine
Anerkennung der Geschehnisse von 1915 als “Völkermord”. Nach Ausbruch
des Ersten Weltkriegs hatten türkische Truppen Armenier in
Hungermärschen in die syrische Wüste getrieben, wobei nach Angaben
internationaler Historiker 600.000 bis 800.000 Menschen ums Leben
kamen.