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Freitag, 5. August 2005
Nach Calmy-Rey auch Deiss von Türkei ausgeladen;
Offiziell aus Termingründen – Spannungen zwischen der Schweiz und der
Türkei wegen Armenier-Frage wieder aufgeflammt
Bern
Die für September geplante Türkei-Reise von Bundesrat Joseph Deiss
ist von türkischer Seite offiziell »aus Termingründen« wieder
abgesagt worden. Der wahre Grund für die bereits länger anhaltende
Verstimmung zwischen der Schweiz und der Türkei dürfte allerdings in
der Armenier-Frage liegen. Das EVD bedauert dies.
Am 2. August teilte das türkische Aussenministerium dem
schweizerischen Botschafter in Ankara mit, dass die für September
geplante Türkei-Reise von Wirtschaftsminister Deiss nicht stattfinden
könne, wie Deiss-Sprecher Christophe Hans am Freitag Berichte von
»Tages-Anzeiger und »Le Temps« bestätigte. Begründet wurde die Absage
mit Terminproblemen von Deiss’ türkischem Amtskollegen Kürsad Tüzmen.
Sollte der wahre Grund aber – wie allseits vermutet – mit der
Einvernahme des türkischen Staatsangehörigen Dogu Perincek durch die
Winterthurer Justiz zusammenhängen, würde dies das Eidgenössische
Volkswirtschaftsdepartement (EVD) bedauern, sagte Hans und verwies
auf die Gewaltentrennung in der Schweiz. Das EVD hofft nun, dass die
Türkei-Reise von Deiss zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden
kann.
Bereits vor zwei Jahren war Aussenministerin Micheline Calmy-Rey von
der Türkei ausgeladen worden. Erst anderthalb Jahre später konnte sie
die Reise nachholen. Schon damals gaben unterschiedliche
Einschätzungen zum türkischen Massaker an den Armeniern von 1915 den
Ausschlag für die Absage. Die Türkei stiess sich daran, dass der
Waadtländer Grosse Rat kurz zuvor eine Resolution verabschiedet
hatte, in der ausdrücklich von Völkermord die Rede war.
Gegen Perincek, den Vorsitzenden der türkischen Arbeiterpartei, läuft
bei der Winterthurer Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen
Verletzung der Rassismusstrafnorm, weil Perincek Ende Juli an einer
Veranstaltung in Opfikon-Glattbrugg den Genozid an den Armeniern als
»Lüge von Imperialisten« bezeichnet hatte. Die Staatsanwaltschaft
Winterthur führt zudem bereits ein anderes Verfahren im Zusammenhang
mit der Verleugnung des Genozids an den Armeniern. Es richtet sich
gegen den Professor und Präsidenten der Türkischen Historischen
Gesellschaft, Yusuf Halacoglu. Dem Historiker wird vorgeworfen, am 2.
Mai 2004 in einem Vortrag in Winterthur den Völkermord an den
Armeniern geleugnet zu haben.
Der türkische Botschafter in der Schweiz, Alev Kilic, bezeichnete die
laufenden Verfahren gegen Perincek und den Historiker Halacoglu
kürzlich als gravierendes Signal und schloss diplomatische
Konsequenzen nicht aus. Er könne nicht garantieren, dass die geplante
Reise von Bundesrat Deiss nicht noch verschoben oder gar abgesagt
werde, sagte er damals.
Jutzet: Mangelnde Reife der Türkei
Die Präsidenten der aussenpolitischen Kommissionen (APK) von
National- und Ständerat sind empört über die Ausladung. Der Türkei
mangle es offensichtlich an der Reife, um in die europäische
Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden, sagte der Freiburger
SP-Nationalrat und Präsident der APK des Nationalrates, Erwin Jutzet,
auf Anfrage. Der Türkei würde kein Stein aus der Krone fallen, wenn
sie ihre Geschichte endlich aufarbeiten würde; dies müsse auch der
Bundesrat der Türkei deutlich machen, sagte Jutzet. Die APK des
Nationalrates wird die Angelegenheit voraussichtlich an ihrer
nächsten Sitzung vom 29./30. August traktandieren.
Andreas Dreisiebner, Leiter der Gesellschaft Schweiz-Armenien,
kritisierte im »Tages-Anzeiger«, dass der Bundesrat die Türkei-Reise
nicht selber abgesagt habe und ein »duckmäuserisches Verhalten« an
den Tag lege. Kurzfristige wirtschaftliche Interessen würden im Fall
der Türkei wieder einmal höher gewertet als politische Aspekte.
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