FRANZ WERFEL VON ARMENIEN GEEHRT
Erna Lackner
Frankfurter Allgemeine Zeitung
20. Oktober 2006 Freitag
Postumer Ehrenburger
Vom armenischen Volk wird Franz Werfel als ein ganz Großer, als
"gottgesandter Freund" gluhend verehrt. Wenn immer auf der Welt der
Volkermord an den Armeniern bestritten wird, "haben wir eine Antwort:
Franz Werfel", sagt Ashot Hovakimian, Wiener Botschafter der Republik
Armenien. Denn Werfels 1933 erschienener Roman "Die vierzig Tage des
Musa Dagh" beschreibt Verfolgung, Leiden und Widerstand der Armenier.
Musa Dagh, Mosesberg, heißt das Bergmassiv an der Mittelmeerkuste,
wohin sich im Jahr 1915 funftausend armenische Manner, Frauen und
Kinder gefluchtet hatten, um den Todesmarschen zu entkommen. Nach gut
vierzig dramatischen Tagen wurden sie von franzosischen Schiffen
aufgenommen und gerettet. Doch bis zu 1,2 Millionen Armenier
wurden im Osmanischen Reich Opfer von Handlungen, die die Turkei
bis heute nicht Genozid nennen will. Daß die Debatte durch die
Literaturnobelpreisvergabe an Orhan Pamuk und das Gesetzesvorhaben in
Frankreich jetzt wieder aufflammen wurde, konnte die Osterreichische
Gesellschaft fur Literatur nicht ahnen, als sie die Feier der
postumen Verleihung der Musa-Dagh-Ehrenburgerschaft an Franz Werfel
festsetzte. Einundsechzig Jahre nach dem Tod des Schriftstellers wurde
in der Nationalbibliothek zum Originalmanuskript nun die goldene
Musa-Dagh-Medaille gelegt. Der aus Paris angereiste Schriftsteller
Peter Stephan Jungk, dessen Werfel-Biographie als Referenzwerk gilt,
bezeichnet Werfels "Musa Dagh" – neben dem "Stern der Ungeborenen"
– als dessen bedeutendstes Buch: Der epochale Roman habe die Zeit
unbeschadet uberdauert. Und kaum ein Buch des zwanzigsten Jahrhunderts
sei – leider – bis heute so aktuell. "Den Anstoß, das unfaßbare
Schicksal des armenischen Volkes dem Totenreich alles Geschehenen
zu entreißen", wie Werfel selbst formulierte, bekam er 1930 auf
einer Nahost-Reise beim Anblick armenischer Fluchtlingskinder. Nach
Wien zuruckgekehrt, recherchierte er die damals funfzehn Jahre
zuruckliegende Tragodie der Armenier im Mechitaristenkloster und
stieß dabei auf die Musa-Dagh-Ereignisse und die Dokumentationen des
deutschen Theologen Johannes Lepsius, dessen Disput mit Enver Pascha,
dem Oberbefehlshaber im Regime der Jungturken, zu einer Schlusselstelle
seines Buchs wurde. "Der Roman ist aus Geschichte gewachsen und
mundete in Geschichte", ssagte Hermann Goltz, Lepsius-Experte und
Theologieprofessor in Halle-Wittenberg. Die Parallelen zwischen der
jungturkischen und nationalsozialistischen Ideologie, die "symbolische
Aktualitat" waren dem aus einem judischen Prager Haus stammenden
Werfel stets vor Augen. Der dann im Zsolnay Verlag erschienene, in New
York und Paris gefeierte Bestseller wurde in Deutschland 1934 wegen
"Gefahrdung offentlicher Sicherheit und Ordnung" verboten. Werfel starb
1945 im kalifornischen Exil. Metro-Goldwyn-Mayer hatte die Filmrechte
an seinem Hauptwerk schon 1934 gekauft, aber nach Protesten der Turkei
auf die Verfilmung verzichtet.
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