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Paolo und Vittorio Taviani Uber den Massenmord an den Armeniern

Berliner Zeitung
16. Februar 2007 Freitag

"Es ist eine der größten Tragödien";
Paolo und Vittorio Taviani ("Das Haus der Lerchen") über den
Massenmord an den Armeniern

Bei seiner Weltpremiere am Mittwoch im Filmpalast beeindruckte und
erschütterte das neue Werk der Brüder Taviani das Publikum. Der
türkische Massenmord an den Armeniern wird in "La masseria delle
allodole" ("Das Haus der Lerchen") in all seiner Grausamkeit
aufgegriffen. Ein Gespräch mit den Regie-Legenden Vittorio und Paolo
Taviani über ihre Verfilmung von Antonia Arslans Bestseller.

Wie sind Sie als Italiener zu dem Thema gekommen?

Vittorio Taviani: Wir wussten natürlich schon etwas über den
Völkermord an den Armeniern. Aber als wir das Buch "La masseria delle
allodole" von Antonia Arslan lasen, da enthüllte sich plötzlich eine
Welt von Schmerz, von Ungerechtigkeit, und uns gingen wirklich die
Augen auf. Danach haben wir uns auch mit den schrecklichen Kriegen
der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit auseinandergesetzt. Nehmen
wir Kosovo oder Ruanda oder was heute in Asien und Afrika passiert.
Wir glauben, es gibt keine schlimmeren Kriege, als solche wie
zwischen Völkern, die eigentlich einander nahe stehen. Als wir
Arslans Buch lasen, wurde uns klar, dass wir hier die Vergangenheit
mit der Gegenwart verknüpfen konnten. Als wir den Film dann
tatsächlich drehten, da hatte die gesamte Truppe den Eindruck, dass
dies der gegenwärtigste und aktuellste Film sei, den man überhaupt
machen könne.

War die Finanzierung schwierig? Der deutsche Produzent Ottokar Runze
ist seit 20 Jahren bemüht, die Gelder für die Verfilmung von Franz
Werfels Armenien-Roman "Die 40 Tage des Musa Dagh" zusammen zu
bekommen.

Paolo Taviani: Es war durchaus schwierig, das Budget zusammen zu
bekommen, deswegen ist es auch eine Koproduktion zwischen Frankreich,
Spanien, Bulgarien und Italien geworden. Anderseits haben wir dadurch
die Möglichkeit gehabt, wirklich frei auf dem europäischen
Schauspielermarkt auszuwählen. Uns hat es gefallen, dass wir mit den
Schauspielern unserer Fantasie ein Antlitz verleihen konnten, ob es
nun die von Paz Vega verkörperte deportierte junge Armenierin Nunik
ist oder der von Moritz Bleibtreu gespielte sich in sie verliebende
Youssouf. Es war uns wichtig, mit Arsinee Khanjian auch eine echte
Armenierin mit einer Hauptrolle zu besetzen. Zu "Musa Dagh": Das ist
wirklich traurig, dass dieses Meisterwerk der Weltliteratur noch
nicht verfilmt worden ist. Aber vielleicht schafft es ja jetzt
Sylvester Stallone, der alle Hebel in Bewegung setzen will.

Zur Premiere gestern waren Tumulte erwartet worden, die zum Glück
ausblieben. Haben Sie aus Angst davor die Pressekonferenz abgesagt?

Vittorio Taviani: Nein, wir hatten keinerlei Angst und haben auch
deswegen nicht die Pressekonferenz abgesagt. Wir haben diesen Film
als Ausdruck dieses bestimmten Augenblicks in unserem Leben gemacht,
und wir werden den Film überall hin begleiten, welches Schicksal ihn
auch immer erwarten mag. Die Pressekonferenz wurde abgesagt, weil es
Hakeleien zwischen den verschiedenen Pressebüros gab, aber auch weil
wir uns um fünf Uhr morgens aus Italien aufgemacht hatten und einfach
zu müde ankamen. Wie Sie wissen, sind Paolo und ich nicht mehr die
jüngsten.

Sie haben auch türkischen Journalisten Interviews gegeben. Wie haben
diese den Film aufgenommen?

Paolo Taviani: Erstaunlich gut. Eine türkische Reporterin, mit der
wir vor Ihnen gesprochen hatten, sagte: "Dieser Film ist wichtig.
Dieser Film soll gezeigt werden."

Wie intensiv waren Ihre Recherchen?

Paolo Taviani: Wir haben bei unseren Recherchen vor allem zwei sehr
wichtige Bücher gelesen, eines von dem bekannten italienischen
Historiker Flores, wo es heißt "Der Völkermord an den Armeniern", und
das zweite von einem in Massachusetts lehrenden deutschen Historiker,
der eher vom "Massaker an den Armeniern" schreibt. Aber daneben hat
uns Antonia Arslan mit viel Material versorgt. Wir haben auch selbst
in Archiven und Bibliotheken geforscht. Allerdings: Wenn wir einen
Film drehen, liegt uns nichts daran, einen historischen Aufsatz zu
schreiben.

Finden Sie die Bezeichnung "Völkermord" korrekt?

Vittorio Taviani: Wir sind keine Historiker. Es obliegt uns nicht,
hier den richtigen Begriff zu wählen. Für uns ist es eine der größten
Tragödien in der an Barbareien nicht armen Geschichte der Menschheit.

Ihr Film ist bis über die Schmerzgrenze hinausgehend grausam, er hat
aber auch kammerspielartige Züge. Was war Ihnen wichtiger: harter
Realismus oder Stilisierung?

Paolo Taviani: Beides, aber wir wollen die Zuschauer natürlich
wachrütteln. Außerdem ist es ja leider so gewesen. Die Zeitungen
bilden natürlich in erster Linie die schönen Bilder ab. Das ist
vielleicht ein falscher Effekt. Die Entwicklung müsste in
Fotostrecken oder zumindest zwei Bildern – vorher, nachher – gezeigt
werden.

Vittorio: Unsere Devise lautet beim Filmemachen: Realismus plus
Fantasie.

Gespräch: Marc Hairapetian

Torgomian Varazdat:
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