05.03.2007 — Tages-Anzeiger Online
Perincek leugnet Völkermord weiter
Der türkische Politiker Dogu Perincek muss sich ab morgen vor dem
Lausanner Polizeigericht wegen Verstosses gegen die Rassismusstrafnorm
verantworten. Von einem Völkermord an Armenier will er nach wie vor
nichts wissen.
In einem Interview der Zeitung «Le Matin» kündigte Perincek an,
russische Unterlagen vorzulegen, wonach der Völkermord an den
Armeniern nie stattgefunden habe.
Der Vorwurf des Verstosses gegen die Rassismusstrafnorm gegen den
Vorsitzenden der türkischen Arbeiterpartei belastete die Beziehungen
zwischen der Schweiz und der Türkei bereits seit geraumer Zeit. So
wurde alt Bundesrat Joseph Deiss, der 2005 eine Reise in die Türkei
geplant hatte, unter Angabe von Termingründen ausgeladen. Auch in der
Schweiz ist die Rassismusstrafnorm umstritten; Bundesrat Christoph
Blocher schlug bei seinem Türkei-Besuch deren Abschaffung vor.
«90 Kilogramm Dokumente»
Auch Perincek sprach sich bei seiner Ankunft in Zürich für eine
Abschaffung aus und wiederholte seine Aussagen. «Ich hoffe, dass die
Hexenjagd auf mich bald aufhört», sagte er in dem heute
veröffentlichten Interview der Westschweizer Zeitung «Le Matin».
Seine Meinung abzugeben, stelle in der Schweiz eine strafbare Handlung
dar. «Ich habe mehr als 90 Kilogramm Dokumente aus einem russischen
Archiv dabei, die beweisen, dass der Genozid an den Armeniern nie
stattgefunden hat», erklärte er.
Massaker bestritten
Perincek hatte im Sommer 2005 in Reden in den Kantonen Waadt, Zürich
und Bern zur Armenierfrage gesprochen. Gleich wie auch die türkische
Regierung bestritt Perincek die Massaker von 1915. Nach diesen
Auftritten wurden auch gegen ihn Strafverfahren wegen Verstosses gegen
die Rassismusstrafnorm eröffnet.
In der Schweiz hatten der Nationalrat und der waadtländische Grossrat
die Existenz des Genozids gleich wie auch andere Länder anerkannt.
Laut Perincek stellt die Anerkennung «das Ergebnis eines zutiefst
verankerten antitürkischen Vorurteils, dass nicht der Wahrheit
entspricht» dar.
Für den Prozess sind zwei Verhandlungstage anberaumt. Perincek kann
dabei auf grosse Unterstützung seiner Landsleute zählen. Es wird
eine grosse Kundgebung erwartet. Laut Perincek soll es zu keinen
Ausschreitungen kommen. «Wir haben nicht die Absicht zu
provozieren», erklärte er. (rom/ap)
Tages-Anzeiger vom 05.03.2007
Blocher sorgt für Unmut
Bundesrat Christoph Blocher hat am Wochenende den türkischen
Justizminister empfangen. Der Zeitpunkt macht stutzig: Diese Woche muss
Dogu Perincek in der Schweiz vor Gericht.
Von Annetta Bundi, Bern
Der türkische Nationalist Dogu Perincek gibt sich siegesgewiss. Er ist
überzeugt, den Prozess zu gewinnen, der gegen ihn angestrengt wurde.
Da Perincek den Völkermord an den Armeniern mehrfach geleugnet hat,
muss er sich diese Woche in Lausanne wegen Verletzung der
Antirassismus-Strafnorm verantworten. «Ich bin in die Schweiz
gekommen, um den Hexenprozess zu beenden», sagte er gestern bei seiner
Ankunft in Zürich.
Perincek geht davon aus, in Bundesrat Christoph Blocher einen
Verbündeten zu haben. «Dank unserem Kampf hat der Schweizer
Justizminister angekündigt, das Gesetz zu ändern», heisst es
triumphierend auf der Website, die er zusammen mit seinen Anhängern
eigens für den Lausanner Prozess eingerichtet hat. Umso
überraschender ist, dass Blocher am Freitag und Samstag in Bern den
türkischen Justizminister Cemil Cicek getroffen hat. Der Lausanner
Prozess sei offiziell nicht traktandiert und daher auch nur am Rand ein
Thema gewesen, versichert seine Pressestelle. Blocher habe seinen
Amtskollegen schon im Herbst, beim Besuch in der Türkei, in die
Schweiz eingeladen.
An Zufall mag jedoch niemand glauben. Statt die Richter in Ruhe ihre
Arbeit machen zu lassen, übten sowohl die Türkei als auch Bundesrat
Blocher Druck auf sie aus, kritisiert Ueli Leuenberger. «Das ist ein
Skandal», fügt der grüne Nationalrat hinzu, der zusammen mit
CVP-Nationalrat Dominique de Buman die parlamentarische Gruppe
Schweiz-Armenien leitet. Perincek wird von zahlreichen nationalistischen
Anhängern unterstützt. Die meisten landen heute auf dem Flughafen
Genf.
Tages-Anzeiger vom 05.03.2007
Unglaubliche Arroganz
Kommentar von Annetta Bundi, Bern
Der türkische Nationalist Dogu Perincek weiss sich geschickt in Szene
zu setzen: 2005 reiste er in die Schweiz, um mit demonstrativen
Auftritten in Zürich, Winterthur und Lausanne einen Landsmann zu
unterstützen, der den Völkermord an den Armeniern leugnete. Dass er
sich damit selber ein Strafverfahren einhandeln würde, war ihm
bewusst: Darauf hatte er es sogar angelegt.
Diese Woche muss sich Perincek in Lausanne vor Gericht verantworten.
Schon heute ist klar, dass er den Prozess schamlos nutzen wird, um seine
von der Wissenschaft längst widerlegten Behauptungen zu propagieren.
Leider wird er es dabei nicht bewenden lassen: Zusammen mit Rauf
Denktasch, der früher die türkische Republik Nordzypern führte und
heute eine obskure nationalistische Bewegung präsidiert, lädt
Perincek seine Getreuen in Lausanne zu einer Konferenz ein, um seinen
Standpunkt zu wiederholen. Keine Provokation ist ihm zu billig.