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Erdogan begeht eklatante Dummheit [in German]

19.12.2008 7 Kommentare

Hätte der türkische Regierungschef doch den Mund gehalten…

Erdogan begeht eklatante Dummheit

KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Zuerst einmal die gute Nachricht. Nach jahrelangen Debatten um das
Schicksal der Armenier im ausgehenden Osmanischen Reich hat jetzt eine
zivilgesellschaftliche Initiative das Heft des Handelns in die Hand
genommen. Von staatlicher Seite wurde jahrzehntelang jegliches
Schuldeingeständnis oder auch nur ein Bedauern über hunderttausende tote
Armenier abgewehrt. Vor diesem Hintergrund stellt die Internetkampagne "Ich
bitte um Entschuldigung" einen kaum zu überschätzenden Durchbruch dar –
nicht nur, was das Tabu um den Genozid an den Armeniern angeht, sondern für
die demokratische Kultur des Landes insgesamt.

Allen bisherigen Einschüchterungsversuchen durch Staat, Justiz und
militant-faschistischen Untergrundstrukturen zum Trotz, haben in den
letzten Tagen fast 15.000 Bürger der Türkei ihren armenischen Mitmenschen
ihr persönliches Bedauern für die Tragödie von 1915 ausgedrückt: nicht
anonym, sondern mit vollem Namen und für jeden identifizierbar. Damit ist
die Diskussion, ob es einen Völkermord gegeben hat oder nicht, nicht mehr
zu stoppen – auch, wenn die nationalistische Rechte jetzt wieder "Verrat"
und "Ausverkauf" schreit. Das war zu erwarten und hört sich mehr denn je
wie ein Rückzug auf Raten an. Was nicht unbedingt zu erwarten war, das ist
die harsche und ungemein platte Reaktion von Regierungschef Tayyip
Erdogan. Hätte er doch bloß den Mund gehalten oder wie Staatspräsident
Abdullah Gül darauf verwiesen, dass die türkische Gesellschaft sich eben
mittlerweile jede offene Debatte leisten kann! Dann hätte die
Unterschriftenaktion auch eine positive Wirkung im Verhältnis zum
armenischen Nachbarstaat entfalten können.

Erdogan aber bekräftigte noch einmal ohne Not eine Position, die eine
Verständigung mit Jeriwan nur erschweren kann. Es habe keine Verbrechen
gegeben, folglich gebe es auch nichts zu entschuldigen, polterte er. Das
wirkt fast wie eine bewusste Sabotage an der Politik einer vorsichtigen
Aussöhnung, die Präsident Gül mit seiner Reise nach Armenien vor zwei
Monaten begonnen hat. Das ist eine eklatante Dummheit. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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Jürgen Gottschlich ist taz-Korrespondent in Istanbul. Er ist einer der
Mitbegründer dieser Zeitung, später war er Inlandsredakteur und in den
Neunzigerjahren Chefredakteur. Er schreibt regelmäßig für die Debattenseite
der taz.

http://www.taz.de/nc/1/debatte/kommen
Ekmekjian Janet:
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