Wie Gauck In Der Armenien-Frage Durchregierte

WIE GAUCK IN DER ARMENIEN-FRAGE DURCHREGIERTE

Vom “Massaker” an Armeniern sprach Außenminister Steinmeier noch
am Freitag. Dann setzte sich Prasident Gauck mit der Bezeichnung
“Volkermord” durch – zusammen mit vielen Abgeordneten der Koalition.

Von Robin Alexander Robin AlexanderBiografie und alle Artikel des
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Bundesprasident Joachim Gauck drangte in der Debatte uber Armenien
auf den Begriff “Volkermord”, Kanzlerin Angela Merkel zogerte. Nun
gibt es einen Antrag, der das Wort – im Plural – verwendet und in
einen Kontext stellt Foto: dpa

In zweifacher Hinsicht handelte es sich um Diplomatie auf hochster
Ebene. Es ging um nichts weniger als die Frage, ob Deutschland
die Verbrechen des Osmanischen Reichs an den Armeniern vor 100
Jahren nunmehr als “Volkermord” bezeichnen soll. Das ware immerhin
ein diplomatisches Novum. Am Wochenende berieten Vertreter des
Bundesprasidialamts, des Bundeskanzleramts, des Auswartigen Amts (AA)
und der Spitzen der beiden Regierungsfraktionen uber das heikle Thema –
immer wieder, in unterschiedlichen Konstellationen.

Schon zuvor habe Bundesprasident Joachim Gauck uber einen Vertreter
darauf hingewirkt, dass das Massaker an den Armeniern in der Resolution
der schwarz-roten Koalition fur die Bundestagsdebatte am Freitag als
Beispiel fur Volkermord anerkannt werde, hieß es. Gauck selbst will
in einer Ansprache am kommenden Donnerstag eine ahnliche Einschatzung
formulieren.

Von einem Austausch zwischen Regierung und Bundesprasidialamt “genau
in dieser Frage” und “Impulsen aus dem Bundesprasidialamt” berichtete
der Sprecher des Auswartigen Amtes, Martin Schafer. Gaucks Leute
hatten durchblicken lassen, der Prasident werde sich am Donnerstag
zumindest in Richtung des Begriffs “Volkermord” bewegen, hieß es
am Montag an anderer Stelle. Das liege nahe bei einem Gottesdienst,
in dessen Rahmen des Volkermords gedacht werden soll.

Also habe die Gefahr bestanden, dass sich eine Kluft bilden konnte
zwischen den Verfassungsorganen Bundesprasident, Bundesregierung und
Bundestag. Daher also die diversen Beratungen, jener “vertrauensvolle
Austausch” am Wochenende. Deshalb die Bemuhungen, die drei Pole
Prasident, Exekutive und Legislative auf eine Linie zu bringen. Auf
eine Linie mit unterschiedlichen Intonierungen, versteht sich.

… beklagt die Taten der damaligen turkischen Regierung, die zur
fast vollstandigen Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich
gefuhrt haben

Aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen

“Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker
an den Armeniern vor 100 Jahren” – so ist der Antrag der
Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD uberschrieben. An diesem
Freitag soll er verabschiedet werden. Bereits am Montag sagte
Regierungssprecher Steffen Seibert: “Hinter diesem Antrag steht
die Bundesregierung.” Der Begriff “Volkermord” – in seinem Plural
– ist Teil des zweieinhalbseitigen Textes; bisher hatten deutsche
Regierungen ihn gemieden. Nun wird er in einem großeren historischen
Kontext eingebettet. Mit der Erwahnung des Worts vermeidet die
konzertierte Aktion von Staatsoberhaupt, Exekutive und Legislative
allzu offenkundige Differenzen in ihrer Geschichtsauslegung.

In dem Antrag, der nach einer entsprechenden Debatte am Freitag im
Plenum des Bundestags beschlossen werden soll, heißt es, der Bundestag
“beklagt die Taten der damaligen turkischen Regierung, die zur fast
vollstandigen Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich gefuhrt
haben”. Er betont ferner: “Er bedauert die unruhmliche Rolle des
Deutschen Reiches.”

Die bis zuletzt umstrittene Formulierung findet sich in seinem zweiten
Absatz. Die planmaßige Vertreibung und Vernichtung von uber einer
Million ethnischer Armenier stehe “beispielhaft fur die Geschichte der
Massenvernichtungen, der ethnischen Sauberungen, der Vertreibungen,
ja der Volkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche
Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des
Holocaust, fur den Deutschland Schuld und Verantwortung tragt.”

Intensive Debatte im Auswartigen Amt

In den vergangenen Tagen war der Druck innerhalb der Fraktionen
von Union und SPD gestiegen, die Bezeichnung “Volkermord” zu
verwenden. Zu parteipolitisch eher ungewohnlichen Konstellationen
kam es. Stark fur das V-Wort etwa machten sich Erika Steinbach (CDU)
und Dietmar Nietan (SPD), die eine vom rechten Flugel ihrer Fraktion,
der andere ein linker Sozialdemokrat. Der Druck stieg. Einzelne
Abgeordnete riefen nach Verwendung des Begriffs “Volkermord”, zum
Teil per Pressemitteilung. Noch am Freitag aber signalisierten die
Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, Volker Kauder (CDU) und
Thomas Oppermann, in der Resolution werde der Begriff fehlen. Es
sollte nicht das letzte Wort bleiben.

Bereits am Sonntag hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD),
von dem der Begriff bis dato vermieden worden war, eine Tur geoffnet.

Man konne das, was damals geschehen sei, “in dem Begriff des
Volkermords zusammenfassen wollen”, sagte Steinmeier der “Suddeutschen
Zeitung”. Im Auswartigen Amt hatte es in den vergangenen Wochen eine
intensive interne Debatte gegeben. Von einer schwierigen Abwagungsfrage
war die Rede. Niemand bestreite die Brutalitat, mit der das Osmanische
Reich gegen die Armenier vorgegangen sei, hieß es. Die Alternative
dazu, vom “Volkermord” zu sprechen, sei nicht, uber das geschehene
Unrecht zu schweigen oder es schonzureden.

Das Massaker an den Armeniern

Im April 1915 begannen die Armeniermassaker im Osmanischen Reich. Das
Bild zeigt hingerichtete Armenier in Istanbul.

1/9 Foto: Reuters/REUTERS

Armenische Waisenkinder. Das Bild entstand 1919.

1/9 Foto: REUTERS

Diese beiden armenischen Jungen verhungerten in der syrischen Wuste.

1/9 Foto: REUTERS

Der deutsche Theologe Johannes Lepsius (1858-1926) machte gegen den
Willen der kaiserlichen Regierung mit seinem “Bericht zur Lage des
armenischen Volkes in der Turkei” (1916) auf die Massaker aufmerksam.

Noch am Freitag, wahrend eines Besuchs in Estland, sprach Steinmeier
von einem “Massaker”. Fur die Bundesregierung gebe es mehrere
Argumente, den Begriff “Genozid” nicht zu verwenden, hieß es im
Auswartigen Amt. In der SPD-Fraktion indes war zu diesem Zeitpunkt
jedoch der Druck so groß, dass Zweifel bestanden, ob es bei Steinmeiers
Sprachregelung bleiben konne.

Schon vor langer Zeit hatte die Bundesregierung entschieden,
AA-Staatsminister Michael Roth (SPD) am 24. April zum Gedenken nach
Armenien zu entsenden. Frankreich ist mit Staatsprasident Francois
Hollande in Eriwan prasent, Russland mit Prasident Wladimir Putin.

Bereits am Vorabend laden die Kirchen zu einer Gedenkveranstaltung in
den Berliner Dom. Bundesprasident Gauck redet hier; er durfte dabei
das Wort Volkermord verwenden.

Neue Spannungen mit der Turkei sind programmiert

Der am Wochenende vereinbarte Konsensantrag werde wahrend der
SPD-Fraktionssitzung auf breite Zustimmung stoßen, hieß es unter
Abgeordneten. Doch der eine oder andere Parlamentarier aus der großen
Koalition wird sein Plazet nur zahneknirschend erteilen. Akzeptabel,
aber nicht uberzeugend sei der Text, war in SPD-Fraktionskreisen zu
horen. Eine rationale Debatte zu diesem emotional besetzten Thema
sei in den vergangenen Tagen nicht gelungen.

Die Gegenuberstellung derjenigen, die fur und die gegen das Wort
“Volkermord” argumentierten – als “Gut gegen Bose” – werde komplexen
historischen und außenpolitischen Fragen nicht gerecht. “Der Verweis
auf die Volkermorde im 20. Jahrhundert bringt die Debatte voran”,
sagte hingegen SPD-Fraktionsvize Rolf Mutzenich der “Welt”. Man durfe
nicht vergessen: “Die Vertreibung und Ermordung der Armenier war kein
singulares Ereignis.”

Berlin stellt sich derweil auf neue Spannungen mit der Regierung
in Ankara ein. “Naturlich ist die Haltung der Turkei mit Blick auf
Armenien inakzeptabel”, sagt ein Außenpolitiker aus der Koalition.

“Nun sind erneut harsche Worte von Herrn Erdogan absehbar.” Offiziell
halt sich die Koalition indes bedeckt. Auf die Frage, ob sich die
Bundesregierung nun auf Spannungen mit Ankara einstellen musse,
sagte AA-Sprecher Schafer: “Das warten wir jetzt mal ab.”

Groß ist im Auswartigen Amt die Verstimmung uber Ankara – nicht
zuletzt uber die jungsten Attacken von Prasident Erdogan und seinem
Außenminister gegen Papst Franziskus, der von einem Volkermord an den
Armeniern gesprochen hatte. Die turkische Regierung sei nicht in der
Lage, sich kritisch mit der eigenen Geschichte zu befassen, heißt es
in Steinmeiers Haus. Damit verstoße Ankara klar gegen die Werte und
“eminente Klubregeln” der EU.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article139839161/Wie-Gauck-in-der-Armenien-Frage-durchregierte.html