Associated Press Worldstream
Montag, 18. April 2005
“A forgotten Genocide”: 90 years ago, the deportation of the
Armenians – death marches, massacres – began; so far few nations have
recognized the Genocide, which Turkey protests…
»Ein vergessener Völkermord«;
Vor 90 Jahren begann im Osmanischen Reich die Vertreibung der
armenischen Bevölkerung – Todesmärsche, Massaker und Verhungern –
Bislang nur von wenigen Staaten gegen türkischen Protest als Genozid
anerkannt
Von AP-Korrespondent Uwe Käding
Frankfurt/Main
Sie wurden erschlagen, erstochen, erschossen, zu Todesmärschen durch
die syrische Wüste getrieben und dem Tod durch Erschöpfung oder
Verhungern überlassen. Dass dies vor 90 Jahren das Schicksal von bis
zu 1,5 Millionen Armeniern in der heutigen Türkei war, ist nicht mehr
umstritten. »Wer spricht heute noch von der Vernichtung der
Armenier?« fragte Adolf Hitler am 22. August 1939, am Vorabend von
Zweitem Weltkrieg und Holocaust. Bis heute umstritten ist aber, ob es
sich um den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts handelte.
Die Verfolgung der Armenier begann am 24. April 1915, als die
jungtürkische Regierung die gesamte armenische Elite in
Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, verhaften ließ. Bis zum Ende
des 1. Weltkriegs 1918 wurde Schätzungen zufolge die Hälfte der
armenischen Bevölkerung in der Türkei getötet, vertrieben, zur
Assimilierung gezwungen.
Frankreich, Kanada, Russland, die Schweiz und die Niederlande haben
Jahrzehnte danach gegen zum Teil heftigen türkischen Protest
beschlossen, offiziell von einem Genozid an den Armeniern sprechen.
Viele andere Staaten – wie auch Deutschland, Großbritannien und die
USA – tun das bis heute nicht.
Neuerdings gewinnt das Thema angesichts des von der Türkei
angestrebten EU-Beitritts an Gewicht. »Das war ein vergessener
Völkermord«, sagt Wolfgang Gust, Herausgeber der aus Schriftstücken
des Auswärtigen Amtes erstellten Dokumentation »Der Völkermord an den
Armeniern 1915/16«, die gerade im Verlag Zu Klampen erschienen ist –
das »war« betonend. »Da die Türken die Tabuisierung des Völkermords
sehr weit getrieben haben, ist das natürlich die höchste Hürde, die
man ihnen stellen kann«, sagt der frühere »Spiegel«-Journalist im
Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP.
Schon im 19. Jahrhundert hatte es Massaker an Armeniern gegeben.
Innerhalb der Jungtürken war es laut Gust eigentlich nur eine Gruppe
von rund 20 Mann, die sich in einen fanatischen Hass gegen die
Armenier hineinsteigerte. Als der Gründer der modernen Türkei,
Mustafa Kemal Atatürk, wegen griechischer Kriegserfolge auf
Waffenlager der Jungtürken angewiesen gewesen sei, habe der Aufstieg
dieser extremen Kräfte bis in höchste Regierungsämter eingesetzt.
Abdul Talaat zum Beispiel, einer der Drahtzieher der Deportationen
aus Aleppo, wurde Innenminister.
Das Vorgehen sei planmäßig gewesen und von einem »Komitee für Einheit
und Fortschritt« gelenkt worden. »Das war, wenn man so will, so etwas
wie die NSDAP und diese so genannte Spezialorganisation, diese
Sonderorganisation (Teskilati Mahsusa), das war die SS. So war das
organisiert. Es gibt ein paar Quellen, wo die Deutschen staunen und
sagen: Für orientalische Verhältnisse ist das eigentlich unglaublich,
wie die in relativ kurzer Zeit von einem Jahr es geschafft haben, die
Armenier umzubringen oder zu assimilieren«, sagt Gust.
Kaiser Wilhelm II. hatte angesichts der deutschen Interessen schon
1909 die Devise ausgegeben: »Die Armenier gehen uns nichts an.«
Deutsche Diplomaten, Militärgesandte und Offiziere wurden zu Zeugen
des türkischen Vorgehens, über das sie auschließlich an ranghöchste
Stellen in Berlin berichteten. Korvettenkapitän Hans Humann,
Marineattache an der deutschen Botschaft in Konstantinopel,
berichtete bereits am 15. Juni 1915: »Die Armenier wurden … jetzt
mehr oder weniger ausgerottet. Das ist hart, aber nützlich.« Der
deutsche Reichskanzler Theobald von Bethman Hollweg definierte die
deutsche Haltung so: »Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum
Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber
Armenier zu Grunde gehen oder nicht.«
Der amerikanische Botschafter in der Türkei Henry Morgenthau,
notierte in seinem Kriegstagebuch: »Ich habe keinesfalls über die
schlimmsten Details berichtet, denn die ganzen Geschichten der
sadistischen Orgien, deren Opfer diese armenischen Männer und Frauen
wurden, können niemals in einer amerikanischen Publikation
veröffentlicht werden. Die perversesten Verbrechen, die sich Menschen
ausdenken können, wurden zum täglichen Unglück dieses treuen Volkes.«
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