Die Welt, Deutschland
Montag, 25. April 2005
Armenier gedenken des Völkermordes
Parlamentspräsident Walter Momper und Bischof Wolfgang Huber bekennen
deutsche Mitschuld
von Regina Köhler
Im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses hat am Sonnabend abend eine
Gedenkveranstaltung für die Opfer des Genozids an den Armeniern
stattgefunden. Die Armenische Gemeinde und die christliche Armenische
Kirche gedachten des 90. Jahrestages des türkischen Massakers an bis
zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten
Weltkrieges. Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) äußerte sich in
seiner Rede kritisch zum Verhalten der Türkei. “Die heute Lebenden
tragen keine Schuld, aber Verantwortung für die Zukunft”, sagte
Momper und forderte das türkische Volk auf, sich mit diesem Teil
seiner Geschichte auseinanderzusetzen. Wer den durch Augenzeugen,
Akten und Forschung belegten Tatbestand des Völkermordes an den
Armeniern bestreite, wolle die Spur dieses Völkermordes vertuschen,
so Momper. Er appellierte schließlich an Armenier wie Türken, in
einen vorurteilsfreien Dialog zu treten und bat die Armenier um
Verzeihung für die deutsche Mitverantwortung.
Vor Beginn der Gedenkveranstaltung hatte eine kleine Gruppe von
Mitgliedern der Türkischen Gemeinde vor dem Abgeordnetenhaus gegen
die Feierstunde protestiert. “Der 23. April ist der Gründungstag des
türkischen Parlaments. Außerdem feiern wir an diesem Tag ein
internationales Kinderfest”, sagte Tacettin Yatkin von der Türkischen
Gemeinde. Die Gedenkfeier der Armenier werde von den Türken deshalb
als Provokation gesehen, die den sozialen Frieden in der Stadt
empfindlich störe. Es sei historisch bisher nicht geklärt, ob es sich
tatsächlich um einen Völkermord handle. “Wir protestieren entschieden
gegen die einseitige Betrachtungsweise der Geschichte”, so Yatkin.
Eindeutige Worte an die Türkei kamen gestern auch von der
evangelischen Kirche. Am Nachmittag hatte der Ratsvorsitzende der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Berliner Bischof
Wolfgang Huber, an die Türkei appelliert, sich mit ihrer
Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Deutschen wüßten aus eigener
Erfahrung, wie wichtig die Aufarbeitung der Vergangenheit sei, sagte
Huber während eines ökumenischen Gedenkgottesdienstes im Berliner
Dom. Huber forderte Armenier und Türken auf, sich für die Versöhnung
untereinander einzusetzen. Zugleich bat auch der Ratsvorsitzende
angesichts der deutschen Mitwisserschaft das armenische Volk um
Verzeihung. Das mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg
verbündete Deutschland habe von den Ereignissen gewußt, aber nicht
eingegriffen. Bundesregierung und Bundestag sollten sich zur
deutschen Mitschuld bekennen, forderte Huber.
Zu den Gästen im voll besetzten Gotteshaus gehörten viele in Berlin
lebende Armenier. Vertreter der Armenischen Kirche, die zum
Gottesdienst eingeladen hatten, bedankten sich während der Feier für
“die mutigen Worte Hubers”.