Berliner Morgenpost
15. Februar 2007
Mahnmal für die Armenier;
Berlinale / "Das Haus der Lerchen" der Brüder Taviani;
Der politisch mutigste Film der Berlinale: "Das Haus der Lerchen" der
Brüder Taviani
von Peter Zander
Sie tragen dick auf. Gleich zu Beginn spritzt eine Blutfontäne. Da
ist es nur eine Vision, die eines sterbenden Alten. Später wird die
Szene indes ihre Entsprechung finden, wenn die Türken den Hof der
Armenier überfallen und dem Hausherrn den Kopf abschlagen. Ein
Menetekel, das sich erfüllt.
Nun gibt es ihn also. Den ersten Film über den Völkermord der Türken
an den Armeniern. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass ihn kein
Armenier, sondern zwei Italiener, die Brüder Paolo und Vittorio
Taviani, gedreht haben, mit internationalem Cast. Es ist der Film,
den sich Atom Egoyan nie zu trauen drehte. Der kanadische Regisseur
armenischer Abstammung hat es mit "Ararat" vor fünf Jahren zumindest
versucht; hat dabei aber zu viele (Zeit-) Ebenen ineinander gelegt.
Hat den Genozid quasi nur indirekt, als Film im Film, gezeigt. Und
vor allem, noch in der Aufarbeitung, schon ganz auf Versöhnung
gesetzt.
Ein Film zur rechten Zeit
Nun kommt "La masseria delle allodole" ("Das Haus der Lerchen") und
legt die Finger in die Wunde, zeigt schonungslos die Massaker, bei
denen über eine Million Armenier ihr Leben verloren, die aber in der
Türkei bis heute offiziell bestritten werden. Ein Tabu, dessen Bruch
gern, wie bei dem türkischen Nobelpreisträger Orhan Pamuk, mit einer
Anklage wegen "Beleidigung des Türkentums" geahndet wird. Die
Welturaufführung des Films kommt just zu einer Zeit, da nach der
Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink auf offener Straße
und Pamuks Absage seiner Deutschlandreise die Diskussion wieder voll
entbrannt ist. Seltsam nur, dass der Film gestern seine
Welturaufführung nur am Rande des Festivals erlebte, als "Berlinale
Special" statt im Wettbewerb.
Auch die Regie-Altmeister sind, anders als angekündigt, nicht zu
einer Diskussion nach der ersten Voraufführung erschienen, weil sie
sich an ihrem ersten Berlinale-Tag "nicht zu viel zumuten" wollten.
Die Polizei wies indes Berichte zurück, wonach die Aufführung
Proteste der türkischen Gemeinde auslösen könnte. Bestürzung hat er
indes hervorgerufen. "Der Lerchenhof" dürfte der interessanteste
Beitrag der Berlinale sein. Auf jeden Fall aber derjenige, der die
Gemüter am meisten erhitzt. Dabei haben sich die Tavianis nur an
historisch belegte Details gehalten. Sie beschränken sich klug auf
das gleichnamige Buch von Antonia Arscan, die darin ihre
Familiengeschichte rekonstruiert; zeigen also nur einen Ausschnitt,
der das Grauen erst ertragbar macht. Auch wenn die Darstellung der
Gewalt vielen schon zu weit geht.
Moritz Bleibtreu als Soldat mit Skrupeln
Es ist die Geschichte von Türken und Armeniern, die 1915 in einer
Provinzstadt friedlich nebeneinander leben, bis die so genannten
Jungtürken des Osmanischen Reichs die Massaker von langer Hand
vorbereiten. Das Richtfest eines Landhauses wird zum Blutgericht, bei
dem ein Soldat noch seine armenische Geliebte retten will, während
die Generalin schon gierig auf das Piano des Hauses schielt.
Assoziationen zum Holocaust drängen sich geradezu auf.
Die Männer werden, vom Greis bis zum Knaben, noch im Hof ermordet, ja
geschlachtet. Der Kopf des Patrons wird seiner Gattin (dargestellt
von Egoyans Frau Arsinée Khanjian) achtlos in den Schoß geworfen.
Frauen und Kinder werden deportiert; wer zu fliehen versucht, wird
gekreuzigt oder verbrannt. Sie müssen sich nachts ihren Schergen
anbieten, um Brot für die Kleinen zu bekommen. Oder werden gezwungen,
Neugeborene umzubringen, wenn es Knaben sind. Das ist die
ergreifendste, schrecklichste Szene: Wenn zwei Frauen, Rücken an
Rücken stehend, ein Baby erdrücken, um ihm den Tod durch den
Krummsäbel zu ersparen.
Eine Schlüsselrolle in diesem Film spielt Moritz Bleibtreu als
türkischer Soldat. Der einzige, der Skrupel empfindet. Der sich in
eine Armenierin verliebt – und sie schließlich, auf ihr Geheiß,
selbst töten muss. Am Ende steht er vor Gericht – und klagt seine
Kameraden an, die die Gräuel begangen haben, und den Staat, der sie
angeordnet hat. Ein Prozess, der, natürlich, kein Urteil findet. Die
Klage bleibt gleichwohl im Raum.
"Der Lerchenhof" ist nicht frei von Klischees. Er zeichnet sich auch
nicht durch die spröde Klarheit früherer Taviani-Werke aus. Und doch:
ein mutiger Film. Und eine klare Absage an das große Verschweigen.
Eine Tür ist damit aufgestoßen. Die Hoffnung Paolo Tavianis freilich,
ihr Film könnte schon bald in türkischen Schulen gezeigt werden, wird
sich wohl nicht so schnell erfüllen.
Sie werden deportiert, gedemütigt, missbraucht, gefoltert und
getötet: Die armenischen Frauen (Mitte: Paz Vega und Arsine Khanjian)
und ihre Schergen
Fotos: Berlinale
Klagt am Ende sich und sein Land an: Moritz Bleibtreu als türkischer
Soldat