"Ich bin ein Killer, ich kampfe wie ein Mann" {in German]

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Sport – SPIEGEL ONLINE – NachrichtenSPIEGEL ONLINE – 16. Februar 2007, 13:50

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FRAUENBOXEN

"Ich bin ein Killer, ich kämpfe wie ein Mann"

Von Ina Bösecke

Susi Kentikian ist die kleinste Profiboxerin der Welt, aber eines der
größten Talente ihres Sports. Heute Abend kämpft die 19-Jährige um die
Weltmeisterschaft im Fliegengewicht. Die härtesten Schläge musste sie
einstecken, bevor sie Boxerin wurde.
Susi Kentikian fühlt sich wohl in ihrem Gym, das merkt man gleich, wenn man
die Hallen der "Universum Boxpromotion" betritt. Außerhalb des Rings wirkt
sie entspannt und liebenswürdig. Die kleinste Preisboxerin der Welt (1,55
Meter) lacht viel, wenn sie erzählt und wirkt in ihrer Natürlichkeit noch
fast wie ein Kind. Kentikian flachst mit ihren männlichen Kollegen, posiert
vor imaginären Kameras, gibt ihrem Trainer einen Klaps auf den Arm. Als das
Pressetraining für die "ProSieben Fight Night" beginnt, steigt sie gekonnt
auf professionelles Posing um. Auch die Worte für die Journalisten sind
sorgsam gewählt. In Deckung sollte man, wenn sie in den Ring steigt.
Profiboxen: Alte und neue Weltmeisterinnen
Fotostrecke starten: Klicken Sie auf ein Bild (6 Bilder)Dann bekommt die
19-jährige Armenierin Stielaugen, das Lächeln gefriert im Gesicht. Kentikian
wird bei Boxveranstaltungen als "Killer-Queen" vorgestellt, weil sie häufig
kurzen Prozess mit ihren Gegnerinnen macht. Elf ihrer vierzehn Profikämpfe
beendete sie vorzeitig durch K.O. "Ich setze immer nach, bis die Gegnerin
aufgibt. Wenn ich im Kampf sehe, dass sie Nasenbluten hat, konzentriere ich
mich drauf, genau da noch einmal zu treffen." Das klingt brutal. Aber wenn
Kentikian nicht schlägt, schlägt die Gegnerin. So ist das im Boxen – und
manchmal auch im Leben.
Da werden zum Teil noch viel härtere Schläge ausgeteilt, wie auch Susi
Kentikian weiß. Als ihre Familie 1992 Armenien verließ, weil dort die
Einberufung des Vaters zum Militärdienst im damals umkämpften Berg-Karabach
drohte, war sie fünf Jahre alt. Der schönste Teil ihrer Kindheit lag damit
hinter ihr. Der Tortur der Flucht folgten nervenaufreibende Aufenthalte in
deutschen Asylbewerberheimen. Lange Zeit verbrachte die Familie zwar
geduldet, aber ohne Aufenthaltsgenehmigung in Hamburg. Die Angst vor
Abschiebung war immer präsent. "Wir sind einige Male von der Polizei nachts
aus dem Bett geholt und zum Flughafen gebracht worden", erinnert sie sich.
Seit 2004 besitzt die Familie eine Aufenthaltsgenehmigung – aber so etwas
vergisst man nicht.
Die Sehnsucht nach dem Gefühl
Kentikian sagt, sie sei froh, dass sie in ihrer Kindheit nicht verwöhnt
wurde. Sonst käme sie heute nicht so gut durch die Runden. Sie war zwölf,
als sie ihre Begeisterung fürs Boxen entdeckte. "Ich konnte alles
rauslassen, die ganze Energie. Wenn man so viele Probleme hat wie wir, dann
braucht man so was." Dies Gefühl hatte sie nie bei den Schwimm- und
Gymnastikkursen, für die sie die Eltern anmeldeten. Auspowern, das schätzt
Kentikian am Boxsport. Und: "Es gefällt mir, wenn die Leute mir zuschauen."
Das mögen viele Boxer. Manche steigen sogar jenseits der vierzig noch einmal
in den Ring, um sich den Kick zurückzuholen – was selten gut geht. "Ich
glaube, ich werde nie die Sehnsucht nach diesem Gefühl verlieren, die dich
vor großen Kämpfen erfasst; du fühlst dich im Zentrum des Universums", sagte
Sugar Ray Leonard vor Jahren. Der Boxchamp versuchte gleich mehrere Male ein
Comeback, die fast alle in die Hose gingen. Aber das ist eine andere
Geschichte.
Susi Kentikian gilt als eines der größten Talente im Frauenboxen und wird
als Nachfolgerin von Regina Halmich gehandelt. Die seit elf Jahren
ungeschlagene Weltmeisterin im Fliegengewicht ist auch für Kentikian ein
Vorbild, schon weil sie so viel für den Nachwuchs getan hat. Als Halmich
anfing gab es viel Skepsis gegen boxende Frauen, die Auftritte waren als
"letzte Freakshow" verschrien. Pfiffe und Buhrufe, wenn Boxerinnen in den
Ring steigen, kennt Kentikian nur vom Hörensagen. Bei ihr applaudiert das
Publikum. Deshalb ärgert es sie auch, wenn sie nicht das zeigen kann, was
sie kann – weil viele ihrer Gegnerinnen einfach zu schwach für sie sind.
"Ich mache ständig Sparring mit Männern. Mit Frauen ist es zu leicht für
mich, das fordert mich nicht. Im Ring bin ich ein echter Killer, ich kämpfe
wie ein Mann." Aber auch eine Frau, die wie ein Mann boxt, wird nicht wie
ein Mann bezahlt. Boxerinnen erhalten oft nur ein Fünftel der Gage ihrer
männlichen Kollegen.
Heute kann sie vom Profiboxen leben. Lange Zeit musste sie neben Schule und
Training putzen gehen, um ihren Beitrag zur Haushaltskasse der Familie zu
leisten. Wenn sie heute Abend gegen Carolina Alvaraz aus Venezuela antritt,
wird sie ihren ersten Titelkampf (nach Version der WBA) bestreiten. Sollte
sie ihn gewinnen, dürfte die nächste Börse höher ausfallen.

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