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Papiere zum Massenmord
Das Lepsius-Archiv an der Uni Halle soll nach Potsdam kommen – es
beherbergt politischen Sprengstoff in Buchform (7.6.05)
Von Henri Kramer Bücher, Bücher, unüberschaubar viele
Bücher. Hermann Goltz kommt kurz ins Stocken beim Nachdenken
darüber, wie viele Bücher sich genau im Johannes Lepsius-Archiv an
der Martin-Luther-Universität in Halle befinden. So muss der
Professor an der theologischen Fakultät schätzen: `Um die 20000
Bände…` Mindestens zwei Lieferwagen werden nötig sein, wenn das
Lepsius-Archiv im Frühjahr 2006 zusammen mit seinem Leiter Hermann
Goltz ins Lepsius-Geburtshaus in die GroÃe WeinmeisterstraÃe
ziehen soll. Goltz sagt: `Es soll ein Ort des Gedenkens, der
Begegnung und der Forschung werden, um den Völkermord an den
Armeniern im Osmanisch-Türkischen Reich historisch weiter
aufzuarbeiten.`
Die Bücher und Schriften aus Halle sollen dabei den Kern der
Gedenkstätte bilden. So findet sich in dem Archiv die seltene
Originalausgabe des `Berichts über die Lage des armenischen
Volkes in der Türkei`, in dem Lepsius zum ersten Mal Details über
den Genozid in Deutschland öffentlich bekannt machte, bei dem
zwischen 1915 und 1917 über eine Million Menschen umgebracht
wurden. 20000 Exemplare des Buchs konnte Lepsius versenden, bevor
seine Schrift von der deutschen Militärzensur verboten
wurde. `Da Deutschland und das Osmanische Reich im 1. Weltkrieg
zusammen kämpften, sollte der Völkermord nicht thematisiert werden`
, erklärt Goltz.
Ebenso ist im Lepsius-Archiv das 1919 erschienene Buch `Der
Todesgang des armenischen Volkes` enthalten, das wegen politischer
Bedenken erst nicht gedruckt werden konnte. SchlieÃlich trauten
sich die Druckereien der jüdischen Firma Imberg & Lefson in
Babelsberg und der christlichen Zeitung `Der Reichsbote` in
Berlin das Buch herzustellen. `Den groÃen Verlagen der Zeit
war das Thema zu heiÃ, niemand wollte Lepsius drucken`, sagt Goltz.
Neben diesen beiden auch heute wissenschaftlich unentbehrlichen
Veröffentlichungen stehen im Lepsius-Archiv 13 Zeitschriften-Serien
aus der Feder des Orientalisten, aber auch Folgeliteratur wie die
Romane von Franz Werfel, indenen die Lepsius-Dokumentationen als
historische Quellen verwendet sind: Alle Werke in verschiedenen
Ausgaben verschiedener Länder in verschiedenen Sprachen. `Es
kommt immer noch neues Material dazu, weil das Thema vor dem
Hintergrund eines möglichen EU-Beitritts der Türkei aktuell bleibt`,
sagt Goltz. Für den Archivleiter selbst ist der Umzug nach Potsdam
die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte, hier begann seine Passion
für die Arbeit von Lepsius. `1976 lernte ich die damals
71-jährige Lepsius-Tochter Veronika kennen.` An der Geschichte des
Vorderen Orients und Osteuropas war Goltz schon damals interessiert,
der Völkermord an den Armeniern wurde bald sein wichtigstes
Forschungsfeld, obwohl das Thema sowohl in der DDR als auch in der BRD
zu den Tabus der Geschichtsschreibung gehörte, wie er sich
erinnert. `Die Türkei war im Kalten Krieg für Sowjetunion wie
für das westliche Bündnis ein wichtiger Partner, den niemand
verärgern wollte`, so Goltz.
In Potsdam soll die Analyse des groÃen Verbrechens weitergehen,
auch gegen den Druck der Türkei. So bezeichnete der türkische
Botschafter das geplante Lepsius-Zentrum schon 2000 als eine
angebliche `armenische Propaganda- und Terrorzentrale.` Hermann
Goltz will weiter sammeln, hofft, dass sich auch die Potsdamer
Universität an der Forschung beteiligt. `In nicht allzu langer
Zeit wird sich die Türkei zu ihrer historischen Verantwortung
bekennen müssen.` Die Studien, um den Genozid mit weiteren Fakten zu
belegen, werden jedoch auch in Potsdam nicht mit den Originalen
geschehen können: Jede Seite steht im Lepsius-Archiv nur als Kopie
zur Verfügung, wie bei wertvollen Schriften üblich. Goltz spricht
aber auch von Sicherheitsinteressen: `Die Originale werden wie
hier in Halle an einem sicheren Ort verwahrt, denn natürlich gibt es
Menschen,die nicht traurig wären, wenn diese Dokumente brennen
würden.`
http://www.pnn.de/Pubs/potsdam/pageviewer.asp?Text